Hilfe für Ukraine-Flüchtlinge Die verbindende Kraft des Sports

Tönisvorst · Sechs Sportvereine sind einem Aufruf des Stadtsportverbandes Tönisvorst gefolgt und bieten formlos an, Geflüchtete aus der Ukraine bei sich zu integrieren. Die ersten haben bereits eine neue Gemeinschaft gefunden. Von der verbindenden Kraft des Sports.

Danylo aus Kiew (2. v. re.) hat in der ersten F-Jugend-Mannschaft bei der Jugendspielgemeinschaft St. Tönis neue Freunde gefunden.

Foto: Teutonia St. Tönis

Etwa 200 Geflüchtete aus der Ukraine sind mittlerweile in Tönisvorst untergebracht. Der Großteil privat, rund 50 auch in städtischen Unterkünften. Doch mit einem Bett ist es nicht getan, es geht für diese Menschen, von denen die meisten Frauen und Kinder sind, auch darum, die schrecklichen Ereignisse des Krieges zu vergessen und mental am Niederrhein anzukommen. Dazu hat die Stadt Tönisvorst verschiedene Angebote geschaffen, auch Jugendzentren und Kirchen organisieren Treffen. Vor sieben Jahren, als zahlreiche Menschen aus Syrien nach Deutschland flohen, zeigte sich aber: Vor allem der Sport und seine Vereine können ein verbindendes Element sein, ein Schlüssel zur Integration, über alle Sprachbarrieren hinweg.

Daran erinnerte sich auch der Stadtsportverband in Tönisvorst und kontaktierte zahlreiche Vereine aus dem Stadtgebiet, ob diese denn bereit wären, Geflüchtete ohne Antrag und Mitgliedergebühr bei sich aufzunehmen und sie im Zweifelsfall mit Equipment auszustatten. So erzählt es Schriftführerin Gudrun Knittel, die auch den Schießfreunden Freischütz-Tell vorsitzt, wo sich bereits eine junge ukrainische Mutter zum Bogenschießen angemeldet hat. Fünf weitere Sportvereine folgten dem Aufruf.

Da ist etwa der Badminton-Club Tönisvorst, bei dem in der kommenden Woche ein achtjähriges Mädchen zum Training kommen wird. Der Turnverein Tönisvorst bietet Turnen und Handball an, die Turnerschaft St. Tönis ebenso, zusätzlich Le Parkour. In den vergangenen Wochen hätten schon vereinzelt Kinder den Weg zum Verein gefunden, einige beim Handballcamp vor Ostern mitgemacht, diese Woche meldeten Angehörige und Gastgeber-Familien ein Dutzend weitere Kinder an, die meisten fürs Turnen. „Eigentlich sind unsere Sportstunden mehr als ausgelastet, aber ein paar mehr am Tisch werden auch satt“, sagt der Vorsitzende Christian Hülsemann. Die Neuankömmlinge würden wie selbstverständlich von den anderen in den Gruppen aufgenommen, „die Integration geht nicht über die Trainer, sondern passiert total automatisch, Kinder und Jugendliche sind da viel offener als Erwachsene, gehen proaktiv die ukrainischen Kinder zu“, sagt Hülsemann. Einige, so meldeten die Trainer zurück, seien natürlich etwas neben der Spur, traumatisiert, aber er glaube fest daran, dass der Sport helfen könne, diese Anspannung loszuwerden. Und Turnen und Le Parkour – das könne man zur Not auch barfüßig machen.

Stutzen, Schuhe, Trikots haben Verein und Eltern gestellt

Die bald wohl fusionierenden Sportvereine Teutonia St. Tönis und der Spielverein St. Tönis bieten Fußball an, und der ist auch in der Ukraine sehr beliebt. Beide Vereine bilden bereits seit zwei Jahren eine Jugendspielgemeinschaft mit mehr als 20 Mannschaften. Ein halbes Dutzend ukrainischer Jungs zwischen sieben und elf Jahren wurden nun in die E- und F-Jugendteams aufgenommen. „Sie sind vollkommener Bestandteil der Mannschaften“, sagt der Sportlicher Leiter der JSG, Ralf Horster, „es gibt talentierte und untalentierte, aber das spielt überhaupt keine Rolle. Sie sollen gegen den Ball treten und Spaß haben.“ Die Verantwortlichen und Trainer hätten trotz voller Mannschaften keine Sekunde gezögert, „die Kinder, die so viel Leid erfahren haben, zu integrieren“, sagt Horster. Auch an offiziellen Spielen können sie trotz fehlender Lizenzen meist teilnehmen, das laufe über Absprachen mit den gegnerischen Trainern. Besonders berühre ihn, sagt Horster, wenn die Mütter und Geschwister am Spielfeldrand stehen und ihre Kleinen mit „Dawai, dawai“ anfeuern. Neulich, sagt der Sportliche Leiter, habe er Gänsehaut bekommen. Danylo aus Kiew – „der Kleine ist richtig gut“ (Horster) – schaffte es auf Anhieb, sich in die erste F-Jugend-Mannschaft zu spielen. Bei einem Spiel schalteten Mutter und Schwester dessen Fußballtrainer aus der Heimat per Videoanruf quasi live zum Spiel dazu. Der Mann war in eine Soldatenuniform gekleidet und trug ein Gewehr, aber in diesem Moment sei ihm nichts wichtiger gewesen, als dem kleinen Danylo voller Stolz zuzujubeln. Neben Danylo haben es auch Gleb und Yaroslav in die erste E-Jugend-Mannschaft geschafft.

Stutzen, Schuhe, Trikots – das wird eigentlich vom Verein gestellt. Aber auch Eltern von Mitspielern sprangen in die Bresche. Geholfen bei der Verständigung habe, dass einer der Jugendtrainer Russisch spreche aber eigentlich, sagt Horster, brauche es zum Spielen ja nur ein paar wenige deutsche Worte, die Spielregeln sind überall auf der Welt gleich und das gemeinschaftliche Miteinander, das entstehe ganz von selbst über das Spiel. Der Sport ist eine Möglichkeit für diese Kinder, sich wieder zugehörig zu fühlen, Freunde und in Tönisvorst so etwas wie eine neue Heimat zu finden.