(Kein) Brauchtum Willich: Wenn ein Schützenfest ausfällt – oder gleich acht
Willich · Die Willicher haben es bereits gehört: Im Sommer soll’s keine Schützenfeste geben. Ein Erlass wird die Absage rechtlich besiegeln. Was wird aus Firmen, wenn keiner Zelte, Blumen, Catering etc. benötigt?
Willichs Schützen erwarten Post von NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach. Ihr Erlass wird rechtskräftig besiegeln, was die Mitglieder aller neun Schützenbruderschaften und -vereine der Stadt geahnt haben und seit Samstag, 15 Uhr, als 100 Prozent wahrscheinlich hinnehmen müssen: 2020 wird es in der Schützenstadt Willich kein Schützenfest geben. Nicht abgespeckt. Nicht nur Paraden. Nicht nur verschoben. Einfach nichts.
Dass Schützenfeste – egal welcher Größe – bis zum 31. August wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden werden, hat Bürgermeister Josef Heyes von der Ministerin erfahren. Am Freitag informierte er die Spitzenvertreter der Schützen.
Scharrenbachs Erlass wird die Rechtsgrundlage und damit Fakten für Absagen in Serie schaffen. Für die Hoch-Zeit des traditionsreichen Sommerbrauchtums in Willich bedeutet das Stillstand, kein kurzes Stillgestanden. Die Uniform bleibt 2020 im Schrank. Oder gleich beim Verleiher.
Seit mehr als 70 Jahren finden in Willich Schützenfeste statt. Bisher jedes Jahr. Ohne Unterbrechung. Kein Sturm hat tolle Tage bisher gekippt, wie es beispielsweise schon Karnevalisten erleben mussten. Joachim Kothen, Präsident des ASV Willich, umschreibt die Dimension des Aus’: „Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wird die Tradition gebrochen.“
Der Ausfall von acht Schützenfesten ist ein herber Schlag für ein Vereinswesen, das mehr als 3500 Mitglieder in allen Stadteilen zählt. Rechnet man deren Familien und Freunde hoch, sind im Schützenwesen ein Drittel der Willicher Bürger eingebunden. Das Virus Covid 19 schwächt nicht nur deren Vereinskultur. Es bremst auch einen enormen kommunalen Wirtschaftsfaktor aus. Jede Bruderschaft ist in der Ausrichtung ihres Schützenfestes ein „kleiner Wirtschaftsbetrieb“, sagt Hans-Joachim Donath, ASV-Geschäftsführer. Sechsstellige Summen können erreicht werden, um die Tage des andauernden Feierns mit Festzelt, Tribüne, Bühnentechnik, Bands, Ausschank, Catering etc. durchzuführen. Im Größenverhältnis zueinander hätten alle neun Schützenvereine dieselben Kosten zu tragen, so Donath.
Mit Mitgliedsbeiträgen allein sind diese Großveranstaltungen finanziell nicht zu stemmen. Veranstaltungen wie das Märzenfest des ASV oder das Oktoberfest in Schiefbahn sind nötig, um Einnahmen zu erzielen. Vergleichbar ist das mit Oberstufenschülern, die mit Vorabi-Feten ihre Abiturfeier finanzieren.
Für Zaungäste oder Besucher, die nicht Mitglieder sind, bedeutet die Absage der Schützenfeste ein freies Wochenende. Oder Ruhe, wo sonst der Morgenappell die Nachbarschaft weckt.
Hunderte Stunden zur Vorbereitung sind für die Katz
Für die Schützen in den Vorständen aber sind hunderte Vorbereitungsstunden für die Katz. Das Ziel, der gesellige Gipfel aller Aktivitäten wird als Veranstaltung ausradiert. Absprachen und Treffen sind aktuell sowieso schon von der Kneipe ins Netz verlegt. Skypen und Videochaten statt Treffen an der Theke des Stammlokals.
Und das ist die Überleitung zu denen, die das Virus wirtschaftlich infiziert. Wird kein Schützenfest gefeiert, wird vieles nicht benötigt. Der Schütze zieht keine Uniform an. Er muss nicht zum Verleih, nicht zur Änderungsschneiderei, nicht zur Reinigung. Die Damen benötigen keine Outfits, keine Schuhe, keinen Friseur, kein festliches Make-up. Professionelle Fotostrecken fallen aus. Kein Fest, kein Programmheft.
Der Zeltverleiher fährt nicht vor, baut nicht auf, richtet nicht ein. Bühne, Licht- und Tontechnik sind nicht notwendig. Zelt-Dekoration und Blumenschmuck, wie die Füllhörner beim ASV-Fest, bleiben undekoriert. Der Getränkelieferant muss nichts aufladen, kein Schausteller einen Imbisswagen oder ein Karussell aufbauen. Die Musikkapellen packen ihre Noten, Livebands ihre Instrumente nicht aus. Moderatoren bleiben zu Hause.
Keine Menschen – keine Security, keine Sanitärer. Auch keine Toilettenhäuschen. Keine Parade, kein Straßenschmuck, kein Rosendrehen und Birken schmücken. Kein Taxifahrer muss einen Schützen an der Haustür abliefern. Kein Bäcker ein Frühstück im großen Kreis bestücken.
Die Gastronomie ist eh schon gebeutelt. Nun wird auch kein Jägerzug Lokalrunden bestellen, weil kein Vogelschuss durchgeführt und gefeiert wird. Auch Willichs Einzelhandel wird’s spüren. Kein Auswärtiger lässt beim Besuch des Schützenfestes Geld für Speisen, Getränke oder mehr in der Innenstadt. Kein Gast von auswärts wird in einem Hotel einquartiert werden.
Wäre Corona kein Thema, wären die Willicher Schützen im Großen und Ganzen startklar für die sommerliche Festsaison. Mit den meisten ihrer Vertragspartner verbinden die Schützenvereine langjährige Partnerschaften. Nun müssen sie hoffen, dass die Firmen der Eventbranche nach einem Totalausfall im nächsten Jahr noch am Markt sind. Viele kommen aus der Region. „Wir wollen weiter mit ihnen arbeiten“, sendet der Schiefbahner Sascha Kaulen, Geschäftsführer der St. Sebastianus-Bruderschaft 1449, das Signal im Namen aller aus.
Die einschneidende Krise der Corona-Pandemie hat das Zusammengehörigkeitsgefühl aller neun Schützenbruderschaften und -vereine gestärkt. Diese Gemeinschaft, so Wolfgang Dille in der Funktion als ihr Pressesprecher, „trägt diese Situation mit. Sie entspricht im Kern unserem Auftrag, ,die Bürgerschaft zu schützen’“.
Auch ein Zeichen der Einigkeit: Alle Königshäuser haben signalisiert, ihre Amtszeit verlängern und 2021 Schützenfest(e) feiern wollen.
Viel Zeit fürs Trübsal hatten Kothen, Donath, Dille, Kaulen, Marcus Herold und die anderen Präsidenten und Vorsitzenden noch nicht. Jeder Tag ist Krisenbewältigung. 2020 werden sie aber mehr freie Zeit haben. Vorstellen kann sich Kothen das noch nicht. „An dem Festwochenende wird es wehtun. Ich werde auf jeden Fall die Fahne raushängen!“ 2021 ist er 50 Jahre als Schütze dabei. Donath ist zuversichtlich, dass dann gefeiert werden kann.
Alle Vereine haben Rückstellungen gebildet, keiner wäre durch den Schützenfest-Shutdown vom Aus bedroht.
Im Übrigen hat Corona dafür gesorgt, dass die Willicher die Schützen durch aktuelle Hilfsprojekte stark wahrnehmen. Nachbarschaftshilfe, Lebensmittelsammlungen für die Tafel und die Unterstützung von Senioren kommen an.