Rührselige Aktion an Altweiber Jugendprinzessin verleiht Orden
Neersen · An Altweiber Karnevalstraditionen zur Freude der in der Pandemie isolierten Senioren ins Altenheim bringen – es sollte der einzige Auftritt des aktuellen Prinzenpaars Andreas I. und Cornelia II. werden. Doch sie verspäteten sich, und dann stürmte es.
Der Saal im Erdgeschoss mit Blick auf den Parkplatz ist an diesem Donnerstag gut besetzt: An allen Tischen sitzen die Senioren des neuen DRK-Seniorenzentrums Lindenhof in Willich-Neersen. Karnevalsmusik läuft, Clowns hängen an den Wänden, Luftschlangen und Ballons verzieren alles, was nicht niet- und nagelfest ist.
Die Männer und Frauen tragen bunte Hütchen, eine alte Dame hat Teufelsöhrchen auf dem Kopf. Es gibt Kaffee, Bowle, jede Menge Berliner Ballen und viel gute Laune. Es ist Altweibertag in Pandemie-Zeiten. Im Seniorenzentrum ist einiges los: Die Männer und Frauen erwarten die Karnevalstanzgarde Schlossgeister und das Prinzenpaar Andreas I. und Cornelia II. aus Willich.
Brigitte Neugebauer ist 84 Jahre alt und freut sich, dass sie mal so etwas erlebt. Wer weiß, vielleicht kann sie mit dem Karnevalsprinzen ein Tänzchen wagen – drüber nachgedacht hat sie. Sie stammt eigentlich aus dem fast karnevalsfreien Lünen – von den Westfalen gibt es einige unter den Senioren, und sogar Jan Kallewegge, der Leiter der Einrichtung ist einer. Der gebürtige Lippstädter hatte lange mit Karnevals nichts am Hut, wie er sagt. Bis er ins Rheinland kam. Verkleidet ist er heute nicht, aber er freut sich sehr über diese Aktion. „Das ist ein Zeichen, dass es Stück für Stück in Richtung Normalität gehen kann.“
Die Idee zu einem kleinen Stück Karneval auf Distanz kam von den Pflegekräften Heike Schön und Tatjana Heinze: „Wir wollten etwas Schönes für die Bewohner machen“, sagt sie, habe es doch zuletzt so wenig für sie zum Feiern und Lachen gegeben. Karneval, das könnte bei vielen schöne Erinnerungen an ihr früheres Leben wecken. „Alle leiden unter Corona“, sagt Tatiana Koplin, die Assistenz der Einrichtungsleitung und Unterstützerin der Aktion, „soziale Unternehmungen finden nicht im gewohnten Maß statt.“ Da ist der Karnevalsnachmittag eine willkommene Abwechslung. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit im Haus, betont sie, sei das möglich geworden.
Es ist trocken, als die Schlossgeister, die Tanzgarde aus Neersen, mit vier Tänzerinnen und drei Hebern zu tanzen beginnen. Auch für die Tänzer ist das ein ungewöhnlicher Auftritt im Freien – und der einzige der Karnevalssession. Cindy, Helena, Ann und die anderen haben noch nie unter freiem Himmel getanzt – aber das merkt man ihnen nicht an. Begleitet werden sie von der Noch-Jugendprinzessin Marie. Gekrönt wurde sie 2015, jetzt ist sie 18 und muss ihr Amt abgeben. Da ist sie glücklich, in diesem Jahr wenigstens diesen Einsatz gehabt zu haben – der letzte für die junge Frau. „Danke, dass Sie uns eingeladen haben“, ruft sie den Bewohnern zu.
Der Himmel zieht sich weiter zu, die ersten Tropfen fallen: Aber ein gutes Dutzend Männer und Frauen stehen mit und ohne Rollator hinter dem Zaun, warm in ihre Jacken eingepackt. Sie lachen und klatschen im Takt der Musik. Clemens Haverkamp, auch er ein Westfale, ist 90 Jahre alt. Aber er ist schon vor 53 Jahren nach Schiefbahn gezogen. Überschäumend sei seine Freude am Karneval nun nicht, aber in gewisser Weise möge er ihn, sagt er mit westfälischer Zurückhaltung. Er ist froh, mal rauszukommen. Die Betreuer, die erkenne er kaum wieder. Die sind nämlich alle kostümiert. Dass Willich ein Prinzenpaar habe, habe er gar nicht gewusst.
Das lässt ein wenig auf sich warten. Mittlerweile sind die Tropfen in einen kräftigen Schauer übergegangen, hat die Bewohner zurück ins Café getrieben und die Tänzer unter einen vom Wind in Mitleidenschaft gezogenen Pavillon. Gut, dass die Heber so stark sind: Sie halten den Pavillon am Boden. Endlich taucht das Prinzenpaar auf dem Parkplatz auf – und wieder heißt es warten: auf den Spielmannszug. Auch für Andreas und Cornelia Loer ist es der einzige Auftritt in diesem Karneval. „Aber wir wollen den alten Menschen ein wenig Freude machen“, sagt Loer.