Wunschjob hinter Gittern
Lutz Aupperle ist neuer Geistlicher im Anrather Männergefängnis.
Anrath. Es ist sein Wunscharbeitsplatz: Lutz Aupperle wusste ganz genau, worauf er sich einlässt, als er sich auf die Stelle des Gefängnisgeistlichen im Männerhaus in Anrath bewarb. Schon in der Zeit vor dem Amtsantritt von Michael Prietz hat er die Stelle ein halbes Jahr lang vertretungsweise inne gehabt. Der Vorgänger von Prietz war wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung, den ein Häftling gegen ihn erhoben hatte, vom Dienst suspendiert — und später freigesprochen worden.
Das wirft ein Bild auf die Schwierigkeit, der sich Geistliche im Umgang mit Kriminellen aussetzen. Oft ist das Gespräch mit dem evangelischen Pfarrer eine der wenigen Gelegenheiten, mit einem Menschen zu sprechen, der strikt der Schweigepflicht unterliegt. „Das Leben hier ist geprägt von Eintönigkeit und Isolation“, sagt Aupperle, „die man durch ein Gespräch mit dem Geistlichen kurzzeitig durchbrechen kann.“ Sein Angebot an die Inhaftierten ist also zunächst ein menschliches.
Das Spektrum der angesprochenen Themen ist wesentlich breiter als sonst in der Seelsorge einer Gemeinde oder eines Krankenhauses. „Es geht darum, wie man die Situation im Knast überhaupt aushalten kann. Sie sind voller Ärger, weil in ihrem Verfahren etwas nicht wie gewünscht läuft. Es geht um biographische Rückschau, um eine Perspektive für die Zeit danach und dann vielleicht um religiöse Dimensionen“, sagt Aupperle.
Oft komme ein Häftling erst fünfmal zu einem persönlichen Gespräch und dann plötzlich in den sonntäglichen Gottesdienst. „Und dann bleibt er auch dabei“, freut sich der 37-Jährige, der in Krefeld geboren wurde und seine Kindheit und Jugend in Kempen verbracht und dort am Thomaeum Abitur gemacht hat.
Genau wie sein Vorgänger Prietz sieht er die Verpflichtung der Christen, sich um die Ränder der bürgerlichen Gesellschaft zu kümmern. „Gott kommt, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten“, sagt er. Allerdings stehe es in deren eigenem Ermessen, diesem Ruf zu folgen oder nicht. „Hier die Kreuzigungsszene“, weist er an das Ende der kleinen Kirche in der JVA. „Jesus wird nicht alleine ans Kreuz genagelt. Der eine Verbrecher wendet sich ihm zu und wird gerettet. Der andere nicht.“
Die Kernbotschaft des Christentums sei, dass auch der Inhaftierte vor Gott nicht verloren sei. „Die wollen nicht immer nur auf ihre Tat reduziert werden, sie wollen auch Mensch sein. Aber ich stelle auch unbequeme Fragen.“ Auch das gebiete der Respekt vor dem Inhaftieren.
Michael Prietz ist inzwischen in die Krankenhausseelsorge gewechselt. „Im beiderseitigen Einverständnis“, wie die Anstaltsleiterin Beate Peters sagt. Bei seinem Amtsantritt im Mai 2007 hatte er betont, dass er den Dienst hinter Gittern ganz freiwillig antrete. Peters freut sich darüber, dass Aupperle die Stelle übernimmt. „Wir kennen ihn und wissen, dass wir mit ihm zusammenarbeiten können.“