Wolfgang Bosbach: „Die Große Koalition ist besser als ihr Ruf“
Der langjährige auch für Leichlingen zuständige CDU-Bundestagsabgeordnete spricht über die Schwierigkeiten der Regierungsbildung.
Herr Bosbach, der Leverkusener SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach hat ausgeführt, der Koalitionsvertrag trage zu 70 Prozent die Handschrift der SPD. Lauterbach ist Experte auf seinem Gebiet, auch die Union hat Fachleute bei den Verhandlungen eingesetzt. Dennoch ist es denkbar, dass die SPD-Basis alles kippt. Ganz ehrlich: Ist der jetzige Vorgang nicht ein Schlag ins Gesicht für die parlamentarische Demokratie?
Wolfgang Bosbach: Ob ein Verhandlungsergebnis über die Bildung einer Regierung von den jeweiligen Parteien getragen wird, entscheiden diese souverän. Die CSU durch Beschluss der Führungsgremien, die CDU auf einem Parteitag, die SPD per Mitgliederbefragung. Sämtliche Formen sind möglich und legitim.
Bei den Inhalten scheinen die Sozialdemokraten viel mehr erreicht zu haben, als das Wahlergebnis hätte vermuten lassen, dennoch wird öffentlich fast ausschließlich über Martin Schulz, Andrea Nahles, Sigmar Gabriel und andere Personalien geredet. Gerät die Sachlichkeit in unserem Land in den Hintergrund? Droht uns eine Amerikanisierung?
Bosbach: Dass es in der heutigen Berichterstattung weniger um konkrete Inhalte der Sachpolitik als vielmehr um beteiligte Personen und die berühmte Frage „Wer hat sich durchgesetzt“ geht, ist bedauerlich, aber nicht neu. Diesen Trend wird man wohl auch nicht ändern können. Leider.
Befürworter der GroKo argumentieren häufig mit der Stabilität, die auch nach Europa strahlt, gerade in einer Zeit, in der es schon genug Experimente auf der Welt gibt. Gegner sagen, sie verhelfe einer weitgehend abgewirtschafteten Bundeskanzlerin zu einer weiteren Amtszeit. Wer hat Recht?
Bosbach: Die GroKo ist besser als ihr Ruf. Und was wäre denn die Alternative zu ihr? Neuwahlen mit einem Ergebnis, das dem vom 24. September sehr ähnlich wäre? Sicherlich nicht. Und mit einer Minderheitsregierung kann man das Land nicht für einen Zeitraum von knapp vier Jahren erfolgreich regieren. Wir brauchen stabile Verhältnisse.
Karl Lauterbach sagt, für die SPD sei alles besser als Neuwahlen, weil die zurzeit nur den Gaulands dieser Republik nutze. Sehen Sie das für die Union ähnlich?
Bosbach: Die Union strebt keine Neuwahlen an, aber müsste davor auch keine Angst haben. Anders als die SPD, die dann garantiert unter der 20-Prozent-Marke bliebe und vielleicht sogar hinter der AfD landen würde.
Diese Regierungsbildung ist mit enorm viel Emotionalität und Aufgeregtheit auf allen Seiten begleitet worden. Fehlt es uns Deutschen manchmal ein wenig an Gelassenheit? Wohl gemerkt: Ich meine nicht Gedankenlosigkeit, aber sehen wir nicht schlichtweg zu oft gleich das Abendland untergehen?
Bosbach: Die jetzige Lage führt deshalb zu viel Aufregung und Dramatik, weil die Situation für uns neu ist. In Belgien hat eine Regierungsbildung beispielsweise einmal 18 Monate gedauert, in den Niederlanden sieben. Das ist nicht wirklich schön, aber auch keine Katastrophe. Besser fünf Monate verhandeln und eine gute Regierung als nach fünf Wochen eine mit enttäuschenden Ergebnissen.