Ausstellung in Düsseldorf Wenn der Flughafen zur Kunstgalerie wird
Düsseldorf · Der Düsseldorfer Flughafen versammelt auf einem „Art Walk“ Arbeiten, die mit Sehnsucht und Vergänglichkeit zu tun haben. Vor manchem Objekt bleibt man ungewöhnlich lange stehen.
Flughäfen sind Inseln, die nicht von Wasser, sondern von Emotionen umgeben sind. Auf dem Weg dorthin durcheilen die einen die Stadien der Vorfreude, dass sie in die Sonne fliegen können und endlich die Stimme am Gate ertönt: „Ihr Condor-Flug nach Fuerteventura ist nun zum Einsteigen bereit.“ Die anderen holen einen geliebten Menschen ab, mit jedem Kilometer Anfahrt steigt ihre Sehnsucht. Der Flughafen gleicht einem Transit der Gefühle, sieht man von jenen Geschäftsreisenden ab, für die ein Airport so ähnlich funktional zu sein hat wie ein Bahnhof oder ein Taxistand.
Zum Flughafen ohne Reisebuchung aber fährt kaum jemand. Höchstens Planespotter, die mit riesigen Teleobjektiven das Rumpffahrwerk eines A380 einfangen. Dabei kann man am Flughafen auch ohne Ticket gut einkaufen oder mit Blick aufs Vorfeld in hübschen kleinen Restaurants sitzen.
Seit einigen Tagen beschleicht manchen Fluggast im Abflugterminal ein seltsames Gefühl. In manchen Shops wird ihm kein Bolerojäckchen aus sizilianischer Manufaktur, kein Whisky aus einer Brennerei auf den Äußeren Hebriden angeboten, sondern beispielsweise der leere, fragende, traurige, hoffende Blick, den Menschen gemalt haben, die gar nicht ausreisen können – weil sie im Gefängnis sitzen. Aber in ihren Träumen können sie reisen, hat sich Anne Berlit gesagt und mit Essener JVA-Häftlingen schmale hölzerne Stelen geschaffen: für sie ein Moment künstlerischer Freiheit. Umgeben sind diese stummen Mahner von irritierenden Tüten auf dem Boden, die diffusen Assoziationen Nahrung geben, was darin sein könnte.
Diese Kunst geht weder weg noch auf einen zu, sie bleibt hinter Glas. Mancher übersieht die Installation von Anne Berlit und eilt vorbei, mancher bleibt wie gefesselt stehen. Das war der Plan von Tankred Stachelhaus aus der Flughafen-Pressestelle. Der Vater des kunstsinnigen Kollegen war ein namhafter Kunstkritiker. Den neuen „Art Walk“ in temporär freien Geschäften des Airports hat er nicht marktschreierisch gestaltet. Es gibt kaum Hinweistafeln, sondern die im Gehirn klickenden Überraschungseffekte, wenn man unversehens auf etwas trifft, das man hier nun gar nicht vermutet.
Nach dem ausdrucksvollen Schweigegelübde, das sich Anne Berlits Stelenfiguren auferlegt zu haben scheinen, springt einen Paul Schwers Denksportraum fast heiter an. Was soll einem dieses rätselhaft gerasterte Muster auf einem riesigen Monitor sagen? Man ergründet es, wenn man es fotografiert: Es zeigt Küssende im Urlaub.
Macks Lichtskulptur „Helios“
ist in der dritten Etage aufgestellt
Überhaupt ist Schwers Raum ein enigmatisches, aber durchaus fröhliches Sammelsurium von Urlaubsobjekten, die durch Krümmung geknautscht, wie ein Liegestuhl bis aufs Gerippe reduziert oder als Poster ans Fenster geklatscht wurden. Schwer zeigt das Leben in seinen Übergangsphasen, als Rohbau der Sehnsucht. Sein Raum ruft: Hier bleibt nichts, wie es ist. Das scheinen sich auch die Flugzeuge zu Herzen zu nehmen, die direkt hinter den Fensterscheiben ans Gate rollen oder zum Abflug abdocken.
Massiv ist Gereon Krebber den Dingen auf den Leib gerückt. Er hat wabenartige Keramikblöcke einer Radikalbehandlung unterzogen. Sie sehen aus wie flambiert, im Brennofen malträtiert, von oben nach unten zerschmolzen – Miniaturversionen von Hochhäusern, denen ein verheerender Brand zugesetzt hat. Frappierend, wie unschuldig diese Ruinen hier stehen: Mancher nimmt drei Meter entfernt vergnügt einen Pre-Flight-Cocktail zu sich und ahnt nicht, dass in seinem Rücken die Kunst der Zerstörung nach ihm ruft. Das Düsseldorfer Hetjens-Keramikmuseum ist bei Krebber übrigens Kooperationspartner.
Leben diese drei starken Ensembles von der Kommunikation mit dem Betrachter, so kommt Matthias Schamps Video „Ich als weißer Querbalken eines Einfahrt-verboten-Schildes“ ohne Betrachter aus. Es läuft als Endlosschleife und ist eine „Verkehrszeichenperformance“, die vor 18 Jahren in der Bochumer Innenstadt gedreht wurde. Einige Leute gucken sich das an, manche schmunzeln sogar.
Während diese vier Szenen im Herbst wieder den Abflug machen, bleiben andere Kunstwerke dauerhaft am Boden. Ein Begrüßungs- und Abschiedssymbol ist vielen bekannt: das 36 Meter hohe, glänzend-stählerne „Victory“-Zeichen, das auf einer externen Verkehrsinsel die Autofahrer grüßt. Etliche kennen wohl auch Olimpia Velasco Ruiz’ „Floating in the Air“ an der Terminalwand zwischen den Flugsteigen A und B, deren philanthropische Wolke über einem Linienwerk schwebt, das der Düsseldorfer Stadtkarte nachempfunden wurde. Schmetterlinge über der Wolke zeigen uns: Hier waltet der gute Geist luftiger Natur.
Ein Clou der Kunst am Airport ist dem Strom der Passagiere entrückt: die elegant rotierenden Metallstreifen von Heinz Macks beinahe historischer Lichtskulptur „Helios“. Sie ist in der dritten Etage des Terminals zwischen einem globalen Kaffeeröster und dem „Ort der Stille“ aufgestellt. Dieses zeitlose Kraftfeld, das von der Sonne gespeist wird und sie zugleich anhimmelt, ist die stillste Erlebnisvitrine im Kunstkonzept des Flughafens.
Sollte man die Besucher auf diese Kostbarkeit nicht ebenfalls stärker aufmerksam machen? Kurator Stachelhaus wehrt ab: Nein, auch Mack will gefunden werden. Und er wird es: Wie aus dem Nichts nähert sich eine Familie, ein kleiner Junge hält den Kopf schief, bestaunt Macks kühle Glitzerwelt mit den metallischen Elementen und verblüfft seinen Vater mit einem schönen Fall kindlicher Deutungshoheit: „Die sehen ja aus wie Schuhanzieher!“
Jedenfalls huldigt Macks „Helios“ sogar dem fliegerischen Urbegriff: der Sonne entgegen.