Improvisationstheater im Großformat „Es ist Urlaub – keine Realitätsflucht“

Hilden/Haan · Eine Veranstaltung im Norden Deutschlands zieht jedes Jahr rund 100.000 Besucherinnen und Besucher an. Trotzdem haben viele noch nie von Mythodea oder LARP gehört. Dabei bietet die Volkshochschule sogar Kurse dazu an.

Ihre Gewandungen für „Conquest of Mythodea“ näht Christin Barthelmie selbst.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Tausende Menschen stehen sich in einer Schlacht gegenüber. Wer von einem Pfeil getroffen wird, sucht möglichst schnell einen Heiler auf – womöglich kann auch eine Alchemistin helfen. Claudine de Marne bewegt sich seit vier Jahren in der Welt von Mythodea – einer komplexen Welt, die seit mehr als zwei Jahrzehnten besteht. Claudine de Marne wird gespielt von Christin Barthelmie. Regelmäßig fährt sie mit ihrer Frau zum „Conquest of Mythodea“, dem größten LARP-Event der Welt, dort schlüpft sie in die Rolle von Claudine, einer Alchemistin.

LARP steht für „Live Action Roleplay“. Es handelt sich um eine Form des Improvisationstheaters. Die Teilnehmenden verkörpern dabei einen Charakter aus einer Fantasiewelt und spielen, ihren ausgedachten Fähigkeiten und Eigenschaften entsprechend, teilweise über mehrere Tage hinweg in einer fiktiven Geschichte. Christin berichtet, ein solcher Charakter würde sich im Lauf des Spiels entwickeln – LARP lebe von der Interaktion zwischen den Beteiligten.

Die Welt, welche Christin und ihre Partnerin Jule bespielen, ist komplex. Wenn die beiden von Feldzügen, Alchemie-Fähigkeiten und den Schiffsrouten von Mythodea berichten, ist es leicht, den Überblick zu verlieren. Es wird außerdem viel in Abkürzungen und im Fachjargon gesprochen. Womöglich ist es ein Resultat dieser unbeabsichtigten Abgrenzung, dass Rollenspieler häufig belächelt werden. Auch Christin ist es wichtig, zu betonen, dass dieses Hobby nicht bedeutet, dass man merkwürdig sei. „Es ist Urlaub – keine Realitätsflucht“, betont sie. „Während man sich im echten Leben um Job, Wäsche und Spülmaschine kümmern muss, konzentriert man sich beim LARP auf ganz andere Dinge“, berichtet Christin. Sie beschreibt es als ein Eintauchen in eine andere Welt, wie es viele als Kind schon gemocht haben. „Es ist schön, mit den Fehlern und Makeln zu spielen und nicht perfekt zu sein“, findet Jule.

Ein besonderer Reiz liegt für die beiden in der Spontanität des Spiels. Ein möglicher Plot, also ein Handlungsstrang eines Spielleiters, trifft beim LARP auf Menschen. Die Spielerinnen und Spieler sind in ihren Handlungen völlig frei. Die Spielleiter sorgen nur dafür, dass es spannend bleibt und machen im Einzelfall Vorschläge.

Die Atmosphäre, besonders beim „Conquest of Mythodea“ sei „sehr dicht“, meint Christin. Man könne sie „mit den Händen greifen“. Die Spielerinnen und Spieler brechen über die Dauer eines Treffens möglichst wenig aus dem Spiel und ihrer Rolle aus. Um die Atmosphäre nicht zu stören, werden auch Handys ausgeschaltet. Womöglich mit einer der Gründe, wieso die Veranstaltungen den beiden Frauen so viel Erholung bietet.

Eine große Rolle bei der Atmosphäre spielen aber auch das Kostüm, die sogenannte Gewandung, und das Equipment. Christin näht bereits seit Jugendzeiten. Mittlerweile stellt sie ihre eigenen und die Gewandungen ihrer Frau selbst her. Dieses Wissen und Können möchte sie weitergeben. In der Volkshochschule Hilden/Haan bietet die Erkratherin daher mehrere Kurse rund ums LARP an. Im Oktober findet ihre „Gewandungswerkstatt“ statt. An drei Terminen können die Teilnehmenden hier gemeinsam Kostüm-Ideen für verschiedene Anlässe entwickeln. Neben Kostümen fürs Rollenspiel unterstützt Christin auch bei Gewandungen für Mittelalter-Märkte, Steampunk oder Cosplays.

Neben den Gewandungen und der Atmosphäre bei LARP-Veranstaltungen sei es aber vor allem etwas anderes, was für die Frauen den Reiz ausmache: „Ich fühle mich einfach wohl in der Szene“, berichtet Jule, „Es geht um die Menschen und den Zusammenhalt.“ Die Mitglieder der LARP-Gemeinschaft seien freundlich und offen, berichten die beiden. Daher sei der Einstieg sehr leicht. In Hilden oder Haan gäbe es aber keine regelmäßigen Stammtische oder offizielle Treffen. Christin bietet daher auch einen VHS-Kurs zum Thema Einstieg in LARP an. Dort wolle sie Interessierten helfen, das Rollenspiel einfach mal auszuprobieren – Anschluss an entsprechende Freundeskreise würde man dann schnell finden, meint sie. Das Wichtigste sei eine „gewisse Affinität zum Fantastischen“, meint Jule.