Abschiedsvorlesung Martin Morlok: Glühender Verfechter einer gerechten Rechtsprechung

Düsseldorf · Der renommierte Jurist Martin Morlok verabschiedet sich mit einer Vorlesung über die Gerechtigkeit des Rechts in den Ruhestand.

Der Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlok vor Beginn seiner Abschiedsvorlesung in der Heinrich-Heine-Universität. Nachfolgerin am Lehrstuhl und in der Institutsleitung ist Sophie Schönberger aus Konstanz.

Foto: Lepke, Sergej (SL)

Als Martin Morlok, einer von Deutschlands renommiertesten Parteienrechtlern, im September 2017 die Satirepartei „Die Partei“ von Martin Sonneborn vor dem Verwaltungsgericht Berlin in erster Instanz vor einer existenzgefährdenden Strafzahlung bewahrte, war er als Düsseldorfer Professor für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie eigentlich schon in den Ruhestand verabschiedet worden. Er hat sich dann noch zwei Semester selbst vertreten – bis zu seiner Abschiedsvorlesung an diesem Freitag.

Der Hörsaal 5E im Gebäude 25.21 der Heinrich-Heine-Universität kann die Zuhörer nicht fassen. Der Oberbürgermeister ist gekommen, der Generalstaatsanwalt, Kollegen selbst aus Rom und Paris und natürlich auch viele Studenten. Sie alle erfahren aus dem Mund des Laudators Prof. Lothar Michael, dass die meisten Professoren wegen ihrer Bandscheibe zum Arzt gehen, Morlok aber wegen seiner Knie – weil er nicht nur blitzschnell denkt, sondern auch ständig in Bewegung ist. Bei ihm gewinnt das Wort Lebenslauf eine ganz neue Bedeutung.

Die Sache mit der Partei könnte im Übrigen auf die falsche Fährte führen. Morlok liebt das Spektakel weniger als die Differenzierung. Damals ging es um eine Lücke im Parteiengesetz, die von der AfD 2014 gezielt und von der „Partei“ satirisch genutzt wurde. Da war Morlok auf seinem Spezialgebiet unterwegs, das ihn auch an die Spitze des „Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung“ führte, erst zusammen mit dem Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann, später mit dessen Nachfolger Thomas Poguntke. Von dort beeinflusste Morlok sowohl die Reform der Parteienfinanzierung als auch die rechtliche Gestaltung der Wahlzulassung der Parteien.

Zweifel und Verzweiflung am Rechtsstaat bleiben nicht stehen

Aber an diesem Freitag geht es nicht um Parteien. Morlok will es zum Abschied grundsätzlicher. „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“, diesen Satz für die Ewigkeit der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley über die Aufarbeitung des DDR-Unrechts zitiert auch der bald 70-jährige Jurist. Aber er lässt den darin anklingenden Zweifel und die Verzweiflung nicht stehen. Seine Vorlesung „Von der Gerechtigkeit des Rechts“ ist ein glühendes Plädoyer für Vertrauen in den Rechtsstaat. „Gerechtigkeit ist kein Rechtsbegriff“, sagt er. „Aber es ist Ziel des Rechts, Gerechtigkeit zu üben.“

Morlok maßt sich keine Antwort an, was Gerechtigkeit ist. Ihm geht es darum, die vielen Elemente der Gerechtigkeitsfrage nachzuweisen, die sich im Recht wiederfinden, an erster Stelle schon im Grundgesetz: „Die Verfassung ist ein Sediment historischer Unrechtserfahrungen, die produktiv verarbeitet worden sind.“

Gleichzeitig sei das Grundgesetz offen für unterschiedliche Gerechtigkeitspositionen und übernehme als „Gerechtigkeitsreserve“ die Korrekturfunktion für das einfache Recht. Solide juristische Arbeit ist daher für Morlok immer auch „Arbeit an der Gerechtigkeit“. Und die Ausdifferenziertheit des Rechts mit ihren Normen und unverzichtbaren Ausnahmeregelungen spiegelt für ihn, wie kompliziert auch das Gerechtigkeitsdenken ist. Das sei auch in Zukunft nicht per Computer zu erledigen. „Dafür brauchen wir Juristen, die den Einzelfall entscheiden.“ Der Satz richtet sich an die Studenten und ihre Bedeutung für die Zukunft „um der Gerechtigkeit des Rechts willen“.

Dass die juristisch ungeübten Zuhörer dem scheidenden Professor nicht in alle Verästelungen seiner Gerechtigkeits-Ausführungen folgen können – geschenkt. Aber ein historisches Beispiel prägt sich auch ihnen sofort ein. Morlok erzählt vom Energiemangel nach dem Zweiten Weltkrieg und den Kohlezügen aus dem Ruhrgebiet, die über Köln nach Süddeutschland fuhren. Dass Kardinal Josef Frings in der Silvesterpredigt 1946 den Kohlenklau aus Not adelte, brachte ihm ewige Verehrung und das Verb „fringsen“ ein. „Mich überzeugt seine Rechtfertigung keineswegs“, sagt Morlok. „Er hat nur an die Kölner gedacht, aber nicht an meine schwäbischen Landsleute.“