Opernregisseur Michael Thalheimer im Porträt Der Schmerz der Seelen
Düsseldorf · Die Inszenierung von Tschaikowskis „Eugen Onegin“ feiert am Sonntag Premiere in Düsseldorf. Regisseur Michael Thalheimer ist kein Unbekannter an der Rheinoper.
Mit „Eugen Onegin“ von Peter Iljitsch Tschaikowski präsentiert Michael Thalheimer am Sonntag nach „Otello“, „Macbeth“ und „Parsifal“ seine vierte Inszenierung für die Deutsche Oper am Rhein. Was vermag den Regisseur zu locken, der auch an Sprechtheatern in ganz Europa gefragt ist – ein Haus, ein Werk, die Künstler?
„Das kann ich sofort beantworten“, sagt er. „Es sind genau diese drei Dinge. Ich würde nicht an jedem Opernhaus arbeiten, ich brauche schon einen Bezug, auch zur jeweiligen Stadt. In Düsseldorf ist es Generalintendant Christoph Meyer, den ich schon sehr lange kenne, ebenso wie den Chor und einige aus dem Ensemble.“ Den Stoff habe man gemeinsam ausgesucht. Nach Wagners „Parsifal“ sei ihm klar gewesen: „Ich wollte es mit den Nöten, Sehnsüchten und Hilflosigkeiten einfacher Menschen zu tun haben.“
Michael Thalheimer, geboren in Münster, studierte Schauspiel in Bern und war an mehreren Theatern engagiert.
„Das ist so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnere“, sagt er. Wohl aber an seinen Entschluss, nicht mehr selbst auf der Bühne zu stehen. „Der Grund ist sehr banal“, antwortet er. „Ich hatte so viele Regisseure erlebt, dass ich überzeugt war, das kann ich besser.“ Lachend schüttelt er den Kopf. „Die komplette Arroganz. Doch ich hatte das Glück, dass es am Theater in Chemnitz, wo ich zuletzt engagiert war, ein Studio der Leipziger Schauspielschule gab. Ich konnte als Regisseur mit den Studenten anfangen und leckte Blut, als ich merkte, welchen Spaß sie dabei hatten. Und ich auch.“
Von da an sei alles rasend schnell gegangen. Thalheimer machte Karriere an bedeutenden Häusern – Wien, Hamburg, Berlin. Seine Inszenierungen wurden vielfach preisgekrönt. Man verpasste ihm das Label „Starregisseur“, obwohl er damit hadert. „Das schmeichelt mir gar nicht“, stellt er klar. „Der Begriff klingt, als würde man nur mit dem Finger schnipsen, um Großes zu vollbringen. Die Kunst, die wir am Theater machen, besteht aber hauptsächlich aus Arbeit.“
Bis heute blickt er auf weit über 100 Inszenierungen am Sprechtheater zurück. 2005 folgte seine erste Oper. „Ich war anfangs sehr vorsichtig und dachte an vielleicht ein Werk in zwei Jahren“, erzählt Thalheimer. Inzwischen hat sich sein Schwerpunkt verlagert, die Oper gewann an Gewicht. „Sie bedeutet eine andere Herausforderung, einen anderen Eros“, erklärt er. „Ich liebe die abstrakte Kunst der Musik und lasse mich gern von ihr hinreißen.“
In diesem Liebesdrama gibt
es nur Verlierer auf beiden Seiten
Tschaikowskis „Eugen Onegin“ sei das komplette Gegenteil zu Wagners wuchtiger Musik. „Die Partituren sind ungeheuer zart“, beschreibt er. „Tschaikowski gelingt es, das Innenleben der Figuren nach außen zu stülpen. Zu Beginn hören wir eine Art Kammermusik. Je feiner die Protagonisten charakterisiert werden und je tiefer Tschaikowski in sie eindringt, desto emotionaler wird die Partitur. Man spürt den ungeheuren Schmerz, wie ganze Seelen auseinanderplatzen und zerspringen.“
Der Komponist verstehe es, Kontraste zu setzen, etwa von Chören und Arien. „Es kommt einem so vor, als würde er Szenen einrahmen“, beschreibt Thalheimer. „In der Schachtel steckt eine Schachtel und darin wieder eine Schachtel.“ Ein Liebesdrama, bei dem es nur Verlierer gibt. Tatjana, ein Mädchen vom Lande, liebt den schillernden Eugen Onegin. Doch als sie den Mut fasst, ihm ihre Gefühle zu gestehen, weist er sie zurück. Er sei unfähig zu einer Bindung und wolle keine Verantwortung übernehmen. „Diese Offenheit macht ihn zwar sympathisch“, führt der Regisseur aus. „Aber man spürt dennoch seinen Zynismus und seinen Sarkasmus. Er glaubt, er habe die Welt in der Hosentasche. Als er seinen Irrtum erkennt und merkt, dass ihm ein Gegenüber fehlt, eine Bindung, ist es schlicht und ergreifend zu spät.“ Doch genau diese Verlorenheit der Protagonisten gefalle ihm an dem Werk, bei dem Tatjana von Tschaikowski in den Mittelpunkt gerückt werde. Auch musikalisch: Allein 13 Minuten dauert ihre Arie im ersten Akt.
Mag der Regisseur bei seiner Arbeit verlässliche Kontrakte und eine frühe Terminierung? Oder behält er sich spontane Entscheidungen vor? „Ich bin da entspannter geworden“, sagt er. „Mein Kalender muss nicht über drei Jahre voll sein, damit ich ruhig schlafen kann. Als ich jünger war, sah ich das anders. Aber nicht aus Gründern der Sicherheit, sondern aus ungeheurer Lust, immer weiter und weiter zu gehen.“ Im Moment sei er eher dabei, seine Verpflichtungen zu reduzieren. Viel zu wenig Zeit habe er früher als rastlos arbeitender Regisseur für seine drei Kinder (30, 18 und 14) gehabt, das wolle er jetzt nachholen. Und dann ist da auch noch seine Passion, das Billardspielen: „So richtig ernsthaft, mit Trainer und Reisen zu Turnieren.“