„Unzureichende Steuerung und Ordnung“ NRW-Ministerin Paul schreibt Brandbrief an Faeser
Düsseldorf · Die NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) hat einen Brandbrief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geschrieben. Die Kommunen würden angesichts einer „unzureichenden Steuerung und Ordnung der Migration“ weiter unter Druck geraten.
Die nordrhein-westfälische Integrations- und Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) hat in einem Brandbrief an die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gefordert, dringend die Kapazitäten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Asylantragstellungen und Anhörungen zu erweitern. Paul kritisierte, dass der Bund seiner Verpflichtung diesbezüglich trotz Zuständigkeit nicht nachkomme und die Länder und Kommunen so weiter unter Druck bringe. „Angesichts der unzureichenden Steuerung und Ordnung der Migration durch den Bund, ist der Bund umso mehr in der Pflicht, wenigstens im Bereich der Asylverfahren für effektive und schnelle Abläufe zu sorgen“, schreibt Paul an Faeser. Der Brief liegt dieser Redaktion vor. NRW arbeite jetzt daran, sogenannte „Überlaufeinrichtungen“ zu schaffen. Als Berater für Unterbringungsfragen hat das Ministerium nun den ehemaligen Staatssekretär Jürgen Mathies (früher rechte Hand von Herbert Reul im Innenministerium) gewonnen.
„Diese Zahlen sind
enorm hoch“
„Mit Stichtag 30. September sind bereits 45 987 Asylsuchende in diesem Jahr nach NRW gekommen – im ganzen Jahr 2022 waren es 50 795 Personen“, so Paul. Hinzu kämen 225 863 ukrainische Schutzsuchende. „Diese Zahlen sind enorm hoch und stellen eine große Herausforderung für das Land und die Kommunen dar“, so Paul.
NRW habe seine Kapazitäten für die Erstunterbringung seit dem Frühjahr 2022 auf 31000 Plätze verdoppelt. „Und der Aufwuchs geht mit Hochdruck weiter“, schreibt Paul. Der Bund sei nicht in „ähnlicher Weise seiner Verantwortung gerecht“ geworden. Während bislang in NRW Asylantragsteller den Kommunen erst dann zugewiesen worden seien, wenn sie ihren Asylantrag beim BAMF gestellt hatten und die Anhörung erfolgt war, gelinge das jetzt nicht mehr, – weil das BAMF nicht mehr nachkommt. In Kürze werde man den Kommunen ohne Antrag und Anhörung zuweisen müssen, so Paul. „Das ist mit Blick auf die damit verbundenen weiteren Belastungen für die Kommunen mehr als misslich“, schreibt Paul. Darüber hinaus laufe das dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung für alle Schutzsuchenden entgegen, um zum einen „denjenigen mit guter Bleibeperspektive schnellstmöglich Integration und Teilhabe zu ermöglichen und andererseits Menschen ohne Bleiberecht schnell rückführen zu können“.
„Die Bundesinnenministerin hätte in gleicher Weise in ihrer Zuständigkeit beim BAMF längst für mehr Personal sorgen müssen“, sagte Paul dieser Redaktion. Sowohl am 12. Oktober und am 18. Oktober habe ihr Ministerium das BAMF ohne Erfolg darauf hingewiesen. Das BAMF sehe sich nicht in der Lage, die Kapazitäten „in absehbarer Zeit auf das erforderliche Niveau“ anzuheben“, schreibt Paul. Es fehlten auch türkische Dolmetscherkapazitäten. „Das ist für mich angesichts unserer großen und lebendigen türkischstämmigen Community nun überhaupt nicht mehr nachvollziehbar“, so Paul.
Gegenüber dieser Zeitung sagte Paul: „Wir stellen uns nun auf diese Situation ein und werden selbstverständlich mit Augenmaß bevorzugt Familien mit Kindern sowie Schutzsuchende zuweisen, bei denen aufgrund der Herkunft, zum Beispiel aus einem Kriegsgebiet, eine gute Bleibeperspektive beziehungsweise eine schlechte Rückführungsperspektive zu erwarten ist.“ Das gilt etwa für Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Iran und Irak. „Darüber hinaus arbeiten wir daran, Überlaufeinrichtungen zu schaffen.“
Derzeit kommen bis zu 2000 Menschen pro Woche aus dem Landessystem in den Kommunen an. Das Land verfügt über 45 Landesunterkünfte – fünf Erstaufnahmeeinrichtungen, 28 Zentrale Unterbringungseinrichtungen, zwölf Notunterkünfte, die zu 94 Prozent ausgelastet sind, eben mit Asylsuchenden, die während ihres Aufenthalts ihr Asylverfahren durchlaufen. Eine Weiterleitung erfolgt bislang erst dann, wenn ein positiver Bescheid vorliegt oder die Dauer der Wohnverpflichtung in einer Landeseinrichtung abgelaufen ist, die bis zu 24 Monate betragen kann. Minderjährige Geflüchtete und ihre Sorgeberechtigten werden spätestens nach sechs Monaten zugewiesen.