Berliner Humboldt-Forum eröffnet erst mal nur online Mit dem Schlossherrn durch den Prachtbau
BERLIN · . Punk galt in der DDR als subversiv. Viele Bands und Musiker konnten nur im Untergrund agieren. Einer, der gelegentlich „in verschiedenen Bands als Sänger“ mitmischte, ist heute Schlossherr in einem der wichtigsten und teuersten gesamtdeutschen Kulturprojekte.
Als Generalintendant ist der Kunsthistoriker Hartmut Dorgerloh (58) für das Humboldt-Forum im Herzen Berlins verantwortlich.
Das inzwischen 677 Millionen Euro teure Zentrum für Kunst, Kultur und Wissenschaft soll nach gut sieben Jahren Bauzeit und mehrfach verschobener Eröffnung am Dienstag, 16. Dezember, seine mächtigen Pforten öffnen – coronabedingt zunächst nur digital. Bis Ende 2021 wollen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit zwei ihrer Museen, das Land Berlin und die Humboldt-Universität jeweils einzeln sowie gemeinsam unter Dorgerloh die verschiedenen Bereiche zugänglich machen. Gezeigt werden dann etwa Exponate aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien sowie Objekte zur Geschichte Berlins.
Umstritten ist der Bau nach Plänen des italienischen Architekten Franco Stella unter anderem wegen der Teilrekonstruktion des 1950 zerstörten früheren Stadtschlosses der Hohenzollern. Hinter der barocken Fassade an drei Außenseitenseiten des riesigen Komplexes mit rund 40 000 Quadratmetern steckt ein hochmodernes Gebäude für Ausstellungen, Veranstaltungen und Kongresse.
Wer in Dorgerlohs Team von „Schloss“ spricht, muss einen Euro in die Kaffeekasse zahlen. Beim Gang durch das von letzten Bauarbeiten belebte Humboldt-Forum rutscht dem Intendanten das so ungern gehörte Wort dann doch schon mal durch. Dorgerloh will wichtige Orte im Bau zeigen.
Schlüterhof
Der Innenhof ist nach dem Architekten des barocken Schlosses Andreas Schlüter benannt. Für Dorgerloh zeigt sich hier die Verbindung von Vorlage und Moderne. „Für Franco Stella braucht man Zeit“, sagt Dorgerloh. „Auf seine Architektur nur einmal drauf zu schauen, das wird ihm nicht gerecht. Bei Stella muss man immer wieder hingucken, genau sehen, welche Proportionen, welche Materialien da sind.“ Da stecke eine Menge dahinter, „auch in der Übersetzung historischer Bauformen in eine radikale Modernität“.
Dorgerloh verweist im Schlüterhof auf den Unterschied von Rekonstruktion und Kopie. „Das Humboldt-Forum ist keine Kopie des Berliner Schlosses. Es sind Fassaden rekonstruiert. Im Schlüterhof stehen Kopien von Schlüters Skulpturen in einer atemberaubend guten Qualität, weil die Originale noch da sind, sie stehen unmittelbar dahinter im Skulpturensaal.“
Schon beim Vorläuferbau ging es um Geld. „Der Schlüterhof ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Preußen knapp bei Kasse waren“, sagt der Hausherr. „Wo immer es ging haben sie ihr neues Königsschloss nach außen schön aussehen lassen. Weil sie einfach kein Geld hatten, um sich dahinter ein neues Haus zu bauen, haben sie die neue barocke Fassade vor dem Renaissance-Altbau errichtet.“ Sichtbare Folge: Das große Portal steht „gegen alle barocken Regeln“ nicht genau in der Mitte der Hof-Fassade.
Foyer
Das Foyer des Humboldt-Forums bietet einen atemberaubenden Zugang in den Bau. „Im Foyer kehrt sich das Außen um, eine Seite ist historisch, drei Seiten sind modern, also eine Umkehrung dieses Verhältnisses“, sagt Dorgerloh im riesigen Entrée. Hier finden sich alle Informationen zu Ausstellungen, Veranstaltungen, kultureller Bildung. Dorgerloh verspricht einen Besucherservice ohne Warteschleife. Schon von außen zu entdecken, lockt auch der Kosmograf ins Foyer – ein gigantischer Medienturm, der wie eine digitale Litfaßsäule fungiert. Der Hingucker offeriere „unglaubliche Möglichkeiten für künstlerische Installationen und visuelle Eindrücke und Informationen über all das zu vermitteln, was hinter dieser doch recht nüchternen Architektur des Foyers steckt“.
Noch etwas gibt es hier zu entdecken: „Die im Eosanderportal eingebrachten Originalteile finde ich besonders wichtig, weil beim Betrachten deutlich wird, wie wenig vom Schlossbau überhaupt erhalten geblieben ist“, sagt der Kunsthistoriker und weist auf etwas dunkler sich absetzende Figurenteile und Säulenkapitelle in luftiger Höhe. „Gleichzeitig waren sie wichtige Ausgangspunkte, um die skulpturale Qualität zu rekonstruieren.“
Schlosskeller
Überreste mächtiger Eichen- und Kiefernpfähle markieren den Weg in den Schlosskeller. Sie wurden einst als Halt für das Gebäude in den instabilen Untergrund gerammt. „Im Schlosskeller tauchen Besucher in die Geschichte ein“, schildert Dorgerloh. An dieser Stelle sei viel passiert und alles, was hier stand, habe seine Spuren im Keller hinterlassen. „Man erkennt das alte Dominikanerkloster ganz schön an den großen alten Ziegeln, das sind die Klosterformate. Die mittelalterlichen Pfeiler kann man an den abgerundeten Ecken erkennen. Als man im Barock das Schloss baute, haben sie dafür die Fundamente ausgeschachtet, fanden diese Pfeiler und haben sie kurzerhand mit in die barocke Außenwand eingebaut. Ein schönes Beispiel zum Thema Nachhaltigkeit.“
Zudem sei permanent technisch optimiert worden. „Im Schlosskeller findet sich noch ein Teil der Heizung, die hier in der Kaiserzeit reingekommen ist, also ein riesiges Gebläse, um einen Saal warm zu kriegen.“ In der Kaiserzeit war das Schloss gesellschaftlicher Treffpunkt mit großen Hof-Festen.
Auch das Ende des Schlosses ist im Keller dokumentiert. „Hier sieht man weiter hinten die Sprenglöcher“, sagt Dorgerloh und zeigt in eine Art Gang mit großen Öffnungen im Boden. „An diesen Stellen wurden 1950 die Ladungen zur Sprengung des Schlosses angebracht und bei den Zündungen haben sie dann diese Krater gerissen.“ Gleich ein paar Meter weiter „endet man im 20. Jahrhundert, denn die DDR hat hierdurch eine Fernwärmeleitung für den Palast der Republik gelegt“.
Kinder-Ausstellung
Das Humboldt-Forum will mit einer Ausstellung für die Kleinsten beginnen, gleich neben dem Foyer sieht es aus wie in einem etwas zu groß geratenen Kindergarten. „Die Kinder sind die Zukunft“, begründet Dorgerloh die Planung. „Wenn es in diesem Haus auch darum geht, wie wir die künftigen Herausforderungen unserer einzigen gemeinsamen Welt meistern wollen, dann kommt den heutigen Kindern eine ganz wichtige Rolle zu.“ Das Humboldt-Forum werde kein Hauptprogramm machen und nebenbei auch noch etwas für Kinder. „Kinder, Jugendliche und Familien sind für uns eine zentrale Zielgruppe.“
Thematisch geht es um das Sitzen. Die Ausstellung biete Raum zum Ausprobieren, Spielen und Lernen über das Sitzen in unterschiedlichen Kulturen. „Wer hat welchen Platz in Gruppen und Gesellschaften? Wie spiegeln sich Gastfreundschaft und Zugehörigkeit, aber auch Rangordnungen über Sitzgewohnheiten wider? Und bedeutet Sitzen immer gleich Stillsitzen?“