Viele Kritikpunkte nach lustlosem Auftritt in Berlin Farkes neue Mängelliste
MÖNCHENGLADBACH · Fehlpässe, lasches Abwehrverhalten, Ballverluste: Borussia Mönchengladbach ließ gegen Hertha BSC Power und Leidenschaft vermissen.
Die Hauptstadt hat gewählt: Jede Stimme zählte. Auf Stimmenfang ging es am Sonntagabend auch in den Katakomben der olympischen Arena zu Berlin: Die große Bühne gehörte den Spielern von Hertha BSC. Nach dem ersten Sieg im neuen Jahr standen sie in der Mixed Zone liebend gerne im Rampenlicht. Ihre Gesichter strahlten, der Redefluss war kaum zu stoppen. Die Berliner Journaille kam nicht zu kurz. Nach zuvor vier vergeblichen Versuchen auf einen Dreier bei 1:13-Toren schaffte es die Mannschaft aus der Hauptstadt, über sich hinauszuwachsen und den Ball gleich viermal im gegnerischen Tor unterzubringen. Leidtragende waren die frustrierten Fohlen von Borussia Mönchengladbach, die auf der Suche nach Beständigkeit immer wieder zurückgeworfen werden und seit einer kleinen Ewigkeit im Mittelfeld vor sich hindümpeln.
Während die Schützlinge von Sandro Schwarz Abstiegsplatz 17 an den VfB Stuttgart abtraten und den Augenblick genießen, schlichen die Gladbacher bedröppelt vom Platz, hielten vor ihrer Fankurve noch kurz inne, um schließlich mit hängenden Köpfen in Richtung Kabine zu verschwinden. Im ohrenbetäubenden Jubel der Hertha-Anhänger gingen die Pfiffe der VfL-Fans glücklicherweise unter. Nach der dritten Niederlage in diesem Jahr war die Enttäuschung immens. Zeit, um Klartext zu reden.
„Wir haben zwar alles versucht, aber nach dem Führungstor kam nicht mehr so viel Zwingendes“, sagte Jonas Hofmann, „wir wollten alles spielerisch lösen. Manchmal ist es möglicherweise auch zu viel des Guten. Vielleicht sollten wir mal etwas anderes probieren. Aber nein, das Spiel mit dem Ball ist ja nun einmal unsere Philosophie, unsere DNA. Das ziehen wir durch.“
Die Gäste vom Niederrhein hatten die Partie vor gut 40 000 Zuschauern zunächst gut im Griff. Sie wirkten reifer in der Spielanlage, beherrschten die Szene, und als Nico Elvedi zum 1:0 einnickte (17.), schien alles in die richtigen Bahnen zu laufen. Die Ecke hatte Luca Netz, der Ex-Berliner, mustergültig in den Strafraum geschlagen. Netz war für den erkrankten Ramy Bensebaini in die erste Elf gerutscht. Zudem probierte es die Borussia in der Offensive mit Hannes Wolf für Alassane Plea. Dann kam der abrupte Bruch: Wie aus dem Nichts erzielten die Berliner den Ausgleich (30.), als die Fohlen-Elf nicht das einzige Mal an diesem Nachmittag gravierende Mängel im Verteidigen an den Tag legte und sehr zerfahren wirkte, sodass sich Hertha ihrerseits dadurch immer wieder Vorteile verschaffen konnte. „Wir waren in verschiedenen Szenen nicht griffig genug, haben nicht mit letzter Konsequenz verteidigt.“ Trainer Daniel Farke sprach das Manko des zu zaghaften Verhaltens in der einen oder anderen Szene deutlich an: „Flanken zu unterbinden, zu blockieren, das haben wir im Vorfeld groß angesprochen. Das ist uns nicht gelungen. Es sind dann manchmal auch die kleinen Momente, die ein Spiel entscheiden. Hertha hat sie erfolgreich auf ihre Seite gezogen. Die Spieler haben um ihr Leben gefightet.“
Sportdirektor stellt die Entwicklung im Vordergrund
Nach dem Ausgleich der Berliner übernahm der Hauptstadt-Klub die Initiative, ging durch ein Traumtor von Dardai in den Winkel in Führung und vergab noch weitere gute Chancen, um das Ergebnis hochzuschrauben. Erst als das nicht gelang, drehte die Borussia noch einmal auf. Marcus Thuram hatte sogar den Ausgleich auf dem Fuß (87.), doch der Hertha-Keeper machte beim „Ball paradox“ in der Schlussphase die Chance mit einer Prachtparade zunichte. Der Rest war nur noch ein wildes Hin und Her mit zwei weiteren Berliner Toren.
Aus einem erbitterten Kampf um den Klassenerhalt, in dem die Hertha weiterhin verstrickt ist, wollen sich die Borussen natürlich weiter raushalten. Aber erstmals in dieser Spielzeit stehen sie nicht mehr auf einem einstelligen Tabellenplatz. Nach nur einem Dreier aus den fünf ersten Begegnungen 2023 muss der fünffache Deutsche Fußballmeister vielmehr hellwach bleiben, um nicht in den Abstiegssog hineinzugeraten. Sportdirektor Roland Virkus, der heute vor einem Jahr als Nachfolger von Max Eberl zum Manager des Vereins bestimmt wurde und gleich in die Geschäftsführung aufstieg, bleibt in seiner Grundhaltung vorsichtig zurückhaltend. „In erster Linie geht es bei uns um Entwicklung. Und das bedeutet für mich, den einen oder anderen Rückschlag auf unserem Borussia-Weg einzukalkulieren und der Mannschaft zuzustehen“, sagte der 56-Jährige im Vorfeld der Partie in Berlin. Dass die Niederlage in der Hauptstadt allerdings so deftig ausfiel und das Team Gefahr läuft, seine Ziele in dieser Spielzeit aus den Augen zu verlieren, dürfte auch dem Manager nicht gepasst haben.
Nach einer erneut wenig erquicklichen Darbietung und der mittlerweile erfolgten Aufarbeitung des 1:4 beginnen im Borussia-Park die Vorbereitungen auf die kommende Partie. Und es ist nicht irgendeine. Der ewige Klassiker ruft. Trainer Farke hat ihn schon auf dem Radar. „In Berlin hat es nicht geklappt, aber wir werden unsere Lehren aus der Niederlage ziehen und es wieder versuchen, immer wieder versuchen, um zum Erfolg zu kommen, um widerstandsfähiger zu werden, Fehler zu minimieren. Es gibt kein Ausruhen“, betont Farke, „es geht immer um das höchste Level, und dann hast du deine Chance in jeder Begegnung, kannst die Punkte auch gegen den FC Bayern München einfahren.“