Entsetzen über Missbrauch

Die Ermittlungen in den beiden aktuellen Verdachtsfällen laufen. Die Polizei sieht eine steigende Tendenz bei Anzeigen. Zornröschen will zusätzliche Beratungen anbieten.

Mönchengladbach. Die mutmaßlichen Missbrauchsfälle an der Bischöflichen Marienschule und in St. Helena sorgen weiter für Gesprächsstoff - aber auch für Fassungs- und Sprachlosigkeit. Und sie zeigen, wie so genannte Vertrauenspersonen ihre Rolle ausnutzten.

Beispiel St. Helena, katholische Gemeinde in Rheindahlen: Hier wird der Jugendleiter (52) der "Offenen Tür" (OT), eines Jugendheims der Kirchengemeinde, beschuldigt, vier junge Frauen im Alter von 16, 17 und 20 Jahren "teilweise massiv sexuell belästigt" zu haben. "Zum Geschlechtsverkehr kam es nicht", sagt Franz Kretschmann, Sprecher des Bistums Aachen. Die Jugendlichen waren ständig Gast der OT.

Mitglieder der Gemeinde sind außer sich. Bislang galt der verheiratete Familienvater als "Mensch, der immer für die jungen Leute da war". Ein Kirchenvertreter: "Wenn junge Leute einen Tipp oder einen Rat brauchten, dann gingen sie zu ihm. Der war so etwas wie eine Drehscheibe."

"Der 52-Jährige hat sich krank gemeldet", sagt Kretschmann. Aber er sagt nichts zu Äußerungen von Kirchen-Angehörigen, wonach der Betreuer weitere Mädchen unsittlich berührt haben könnte. Beispielsweise bei Fahrten, die von Jugendverbänden wie der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG) organisiert wurden.

An der Marienschule, das sagen Schüler, gab es seit Wochen Gerüchte darüber, dass ein 36 Jahre alter Lehrer einer 14-jährigen Schülerin ständig pornografische Bilder, auch von ihm selbst, mailte.

Der verheiratete Englisch- und Deutschlehrer und die Gladbacherin hätten auch regelmäßig gechattet. Als die Eltern des Mädchens Strafanzeige stellten, handelte der Schulträger, das Bistum, und suspendierte den Lehrer. Er soll in einer 5. und 9. Klasse unterrichtet haben.

Laut Bistumssprecher Kretschmann, der als einziger in beiden Fällen Auskunft geben darf (Gemeinde und Schule gehören zum Bistum), bietet man den Schülern der Klassen Hilfen an. Einige hätten das Angebot angenommen.

Wegen sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung pornografischer Bilder ermittelt die Staatsanwaltschaft.

2009, sagt ein Polizeisprecher, sind bislang drei Fälle von sexuellem Missbrauch an Jugendlichen anzeigt worden.

Die Polizei spricht von einer steigenden Tendenz bei Anzeigen wegen sexuellen Übergriffen auf Kinder. 53 Fälle wurden 2007 bekannt, im Jahr darauf waren es sechs mehr. Bis Ende Oktober dieses Jahres sind es bereits 46.

Beim Verein Zornröschen, der sexuell missbrauchten Jungen und Mädchen hilft, lag die Zahl der Opfer oder besorgten Verwandten und Bekannten, die erstmals Kontakt aufnahmen, in den vergangenen Jahren zwischen jährlich 400 und 470.

2009 haben Fachberaterin Brigitte Bialojahn und ihre Kolleginnen bereits 430 Erstgespräche geführt.

Für Verdachtsfälle gibt Bialojahn den Rat: "Man sollte das Bauchgefühl sehr ernst nehmen. Auch wenn der Verdacht ganz vage ist, sollten sich die Menschen an uns wenden." Im geschützten Rahmen könnten diejenigen sich alles "vom Herzen reden". Und die Fachberaterinnen wüssten am besten, wie dem womöglich betroffenen Kind von Verwandten oder Bekannten ein Angebot für ein Gespräch gemacht werden und "eine Brücke gebaut" werden könne.

Wichtig sei, schnell zu helfen. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen bräuchten zeitnah Unterstützung von Experten beim "Sortieren" ihrer Gefühle und Gedanken. Und es müsse schnell entschieden werden, wie man die Opfer schützen könne.

Auch um schnell zu sein, will Zornröschen ab Januar ganz neu eine Online-Beratung anbieten. Die Detailfragen zu Art und Umfang werden noch geklärt. Sicher ist, so Bialojahn: "Es ist ein Angebot gerade an die Jugendlichen, die sich schwerer tun anzurufen oder zu uns zu kommen."