Farbspektrum aus mehr als 10 000 Fläschchen
Im Textiltechnikum zeugen mehr als 10 000 kleine Gefäße von der Geschichte der Textilfarbgebung.
Plunder im Keller findet man immer wieder. Selten mal ist etwas Wertvolles dabei. Was Professor Jürgen Schramm aber in alten Holzschränken in einem Keller der Hochschule Niederrhein aufbewahrte, ist so ein wirtschafts- und kulturhistorischer Schatz, dass er nun für das Publikum aufbereitet wurde. 10 600 Fläschchen voll mit Farbpigmenten, die die Forscher ab den 1850er Jahren horteten — und die beinahe erst weggeworfen worden wären und dann zunächst in Vergessenheit gerieten.
Es ist die wohl größte Sammlung an Farbstoffen in Deutschland, vielleicht sogar weltweit. 4000 dieser Fläschchen sind nun im Textiltechnikum im Monforts-Quartier ausgestellt, der Rest lagert noch in Krefeld. Damit wurde dieser Teil der Textil-Ausstellung nun mit rund 25 000 Euro Fördermitteln des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) deutlich ausgebaut. „Diese historischen Schätze gehören hierhin, und ich werde nicht Ruhe geben, bis alle hier sind“, sagt Rolf Königs, der Vorsitzende des Verbands der Rheinischen Textil- und Bekleidungsindustrie, gestern bei der Vorstellung der ausgebauten Abteilung.
Bis etwa 1850 waren die Menschen grau, braun, weiß gekleidet. Nur besonders edle Stoffe und Uniformen wurden gefärbt. Natürliche Farbstoffe waren viel zu teuer. Erst Anfang der 1850er Jahre entdeckte der britische Chemiker William Henry Perkin den ersten synthetischen Farbstoff, einen violetten Farbton namens „Mauvein“. Aus Anilin, einem Abfallprodukt der Teerproduktion, ließen sich auf einmal alle erdenklichen Farbtöne herstellen. Es war für die Textil- und Bekleidungsindustrie wie eine Offenbarung, und für die chemische Industrie erst die Initialzündung überhaupt. „Das sind die beiden wichtigsten Industrien des Rheinlands“, sagte Karlheinz Wiegmann, Direktor des Museums Schloss Rheydt. „Anhand der Sammlung lässt sich eine spezifisch rheinische Industriegeschichte erzählen“, sagte Kulturdezernent Gert Fischer.
In den folgenden Jahrzehnten gründeten sich etwa Bayer in Elberfeld, die Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication (Agfa), die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) und viele andere. Sie alle erfanden Farben wie Brilliant-Säure-Carmin-Rot, Supraminorange, Brilliantsäureblau oder auch Cotolanechtgrün — als die Menschen ihre Hemden in diesen Tönen färbten, begann die Blütezeit der Chemie-Konzerne. Und auch die der Hochschule Niederrhein. Denn die damalige Färberei- und Appreturschule in Krefeld verstand sich schon im 19. Jahrhundert darauf zu erforschen, wie die von den Chemikern entwickelten Farbstoffe für die Färbung von Textilien überhaupt einsetzbar sind. „Schon damals haben Krefelder Wissenschaftler ihr Know-how der Industrie zur Verfügung gestellt. Nach diesem Prinzip funktioniert der Transfergedanke der Hochschule Niederrhein bis heute“, sagt Hochschulpräsident Hans-Hennig von Grünberg.
Ein Teil dieses Wissens ist über die Jahre verloren gegangen. Nicht von allen Farbstoffen existiert noch die exakte chemische Formel, und nicht jede Wirkung bekannt. Das soll ein Forschungsverbund der Hochschule Niederrhein gemeinsam mit anderen Einrichtungen wie der Technischen Universität Dresden (die ebenfalls 8000 Fläschchen besitzt) erforschen. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung hat laut von Grünberg bereits seine Förderung zugesagt. Mit ihrem Platz im Textiltechnikum zeigt die Sammlung nun auch ihren „ästhetischen Wert an einem authentischen Ort“, sagt Ruth Türnich vom LVR. Rolf Königs würde die Sammlung gerne fotografieren lassen von Andreas Gursky, einem der weltweit erfolgreichsten zeitgenössischen Fotografen. „Wir haben telefoniert. Und wir werden das jetzt weiter entwickeln.“