Klettereinsatz an der Turmspitze von St. Josef

In 72 Metern Höhe kontrolliert ein Team von Industriekletterern das Dach auf Schäden.

Es ist nicht Rapunzel, die ihr meterlanges Haar aus dem Turmfenster schmeißt. Es ist Ivo Vogtmann, der seine Seile Stück für Stück weiter nach unten wirft. Nur sein Kopf lugt aus dem kleinen Fenster heraus. Doch von dort kann sich der Industriekletterer nicht abseilen. Der Durchgang in 72 Metern Höhe ist zu klein. Seit 6 Uhr morgens ist das vierköpfige Team von Vogtmann auf den Beinen. Der 29-Jährige und seine drei Kollegen planen jeden Auftrag streng durch, auch den an der Grabeskirche St. Josef in Rheydt. Bevor es in die Kletterseile geht, muss ein Rettungskonzept für den Notfall erstellt werden. Denn die Industriekletterer sind in Höhen unterwegs, die für die Drehleiter der Feuerwehr nicht mehr erreichbar ist. „Auf dem Dach sind wir mindestens zu zweit unterwegs“, sagt Vogtmann. „Für den Fall, das einer das Bewusstsein verliert, muss ein Kollege schnell eingreifen können.“

Foto: Ilgner

Bevor die richtigen Arbeiten losgehen können, nehmen sich die Kletterer rund einen Tag Zeit, um das Turmdach der Kirche zu inspizieren. Wie sehr haben Hagel und Sturm den Dachziegeln geschadet? Gibt es morsche Stellen? Wie dreckig sind die Regenrinnen? Am Boden wird zunächst der Eingangsbereich großzügig abgesperrt. Denn auch bei der Kontrolle können bereits Kleinteile vom Dach fliegen. „Auch Steine, die nicht größer sind als eine Haselnuss, können aus der Höhe am Kopf schon Verletzungen verursachen“, sagt Sabine Vennen, Verwalterin des Trostraumes in der Grabeskirche. Verletzungen im Gesicht und am Kopf haben die Industriekletterer weniger von fliegenden Steinen als von tierischen Bewohnern zu fürchten. Hunderte graue und weiße Federn bedecken den Boden der Glockenstube, auf gut 40 Metern Höhe. „Tauben haben hier ihre Nester und freuen sich überhaupt nicht über unseren Besuch“, berichtet Vogtmann. „Nicht selten werden wir angegriffen, die fliegen einem dann direkt ins Gesicht.“

Geht keine Gefahr mehr vom Federvieh aus, steigen die vier Männer auf Leitern weiter Richtung Turmspitze. Bis hier hin kommen sie noch ohne Absicherung. In der unteren Turmstube, auf gut 60 Metern, klemmen sich Vogtmann und seine Kollegen Karabinerhaken in den Klettergürtel. Alles wird doppelt und dreifach kontrolliert. „Wenn wir was im Büro vergessen, ärgert einen höchstens der leere Tank“, sagt Vogtmann. „Aber wenn du hier auf dem Boden etwas vergisst, ärgern dich deine Muskeln.“

Im Fitnessstudio bräuchten sich die Industriekletterer jedenfalls nicht anmelden. Besonders das Hochseilen der letzten Meter an der Spitze ginge in die Arme. Dabei gehört die Grabeskirche mit ihren knapp 70 Metern noch zur „kleinen“ Kategorie. Der Rekord von Vogtmann und seinem Team liegt bei 182 Metern. Damals haben sie an der Spitze eines Kraftwerks gearbeitet. „Wir haben keine Angst in der Luft“, sagt Vogtmann. „Aber wir haben Respekt vor der Höhe.“ Wer den Beruf ausüben will, muss ohnehin eine Kletterausbildung absolvieren. Erst dann geht es auf Turmspitzen, Hochhäuser und Kraftwerke. Ab und an erhalten die Männer aus Mönchengladbach auch den Auftrag bei Events die Beleuchtung zu befestigen. Sogar in der ein oder anderen TV-Show waren sie schon im Hintergrund zu sehen, wenn es darum ging Menschen, in der Höhe abzusichern. Vor großen Schäden will sich auch die Grabeskirche St. Josef in Rheydt absichern. Alle zwei Jahre werden hier die Dachflächen kontrolliert und die Regenrinnen gesäubert.