Notaufnahmen platzen aus allen Nähten
Krankenhäuser beklagen immer mehr Fälle von Patienten, die ohne echte Dringlichkeit in die Notfallambulanzen kommen.
Die Zahlen steigen und steigen. In die Notfallambulanzen, die die vier Krankenhäuser in Mönchengladbach betreiben, kamen im vergangenen Jahr mehr als 141 000 Patienten. Das sind im Schnitt vier Prozent mehr als im Jahr zuvor, und auch da lagen die Zahlen schon auf Rekordniveau. Was ist los? Steigt auch die Zahl von Unfällen und schweren Erkrankungen ständig? „Nein“, sagt Dr. Marc Deußen, Oberarzt im Elisabeth-Krankenhaus und Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Stadt. „Wir bekommen heute andere Patienten, die eigentlich gar nicht in die Klinik gehören. Die Notfallambulanz ist zum Dienstleister geworden.“
Jedes Krankenhaus in Gladbach hat eine Notfallambulanz, das Maria Hilf aufgrund der zwei Standorte sogar zwei. Überall bietet sich das gleiche Bild. Im „Eli“ stieg die Zahl der Notfallbehandlungen innerhalb von sechs Jahren von etwa 32 000 auf knapp 40 000 im Jahr. Im Bethesda wuchs die Zahl im gleichen Zeitraum von rund 15 800 auf mehr als 25 000 an. Das Maria Hilf mit seinen zwei Standorten verzeichnete innerhalb von drei Jahren einen Anstieg von 52 000 auf 62 000 Patientenkontakte, und im Krankenhaus Neuwerk kamen 2015 rund 15 000 Patienten in die Notaufnahme, fünf Jahre zuvor waren es nur knapp 11 000 gewesen.
Es ist ein landesweiter Trend, bedeutet aber ganz konkret vor Ort, dass die Notfallambulanzen regelrecht verstopfen. Mit dem unschönen Effekt, dass die Wartezeiten steigen. Der Leiter des Rettungsdienstes sieht das Problem unter anderem in einer geänderten Haltung der Patienten. „Sie kommen zu uns, weil sie zeitnah keine Facharzttermine bekommen. Sie wissen, dass sie hier die volle Diagnostik zur Verfügung haben“, erklärt er. Sie kommen mit Symptomen, an denen sie schon tage- oder wochenlang leiden, also eigentlich kein Fall für die Notaufnahme wären. „Viele kennen den Unterschied zwischen Notfallambulanz und der Notfallpraxis der kassenärztlichen Vereinigung nicht und kommen deshalb ins nächstgelegene Krankenhaus“, sagt Deußen.
Die Notfallpraxis könnte erledigen, was jetzt meist die Ambulanzen tun müssen — sie könnte sortieren. Wer braucht die Infrastruktur des Krankenhauses, wer kann nach kurzer Untersuchung wieder nach Hause? Im Johanniter-Krankenhaus Bethesda hat man den Vorteil, dass die Notfallpraxis der kassenärztlichen Vereinigung im benachbarten Gebäude untergebracht ist. Hier kann man sich direkt austauschen. Patienten, die eigentlich nur ihren Hausarzt bräuchten, kommen trotzdem in die Ambulanz. Schwester Brigitte Coenen hat Verständnis für den Druck, unter dem einige stehen. „Es kommen Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben und trauen sich deshalb nicht, während der Arbeitszeit zum Arzt zu gehen“, sagt sie. Diese sitzen dann abends in der Notfallambulanz. Andere gehen zu ihrem Hausarzt und werden weiter in die Klinik geschickt. „Die Verantwortung wird zunehmend verschoben“, sagt Susanna Fisher, als Fachärztin in der Notaufnahme des Franziskushauses. „Die Patienten kommen mit der Aussage, ihr Hausarzt sei sich nicht sicher.“ Zum Teil würden die Patienten sogar ohne vorherige Diagnostik ins Krankenhaus geschickt.
All dies führt zur Überfüllung der Notaufnahmen. Parallel dazu steigt die Anspruchshaltung der Patienten, eine Entwicklung, die Ärzte und Pflegekräfte schmerzlich zu spüren bekommen. „Die Leute kommen mitten in der Nacht mit einem eingewachsenen Zehennagel“, beschreibt Marc Deußen einen Extremfall. „Je später sie kommen, desto forscher treten die Patienten oft auf.“ Auch Schwester Brigitte Coenen, seit 35 Jahren in der Notfallambulanz, sieht steigende Ansprüche und Aggressionen. „Die Leute überlegen nicht. Sie kommen mitten in der Nacht und meinen, da säße ein Arzt, der auf sie wartet.“ Die Kliniken Maria Hilf reagieren auf die zunehmende Gewaltbereitschaft mit der Ausbildung von Mitarbeitern, die deeskalierend wirken sollen.
Eine Lösung für die überfüllten Ambulanzen ist nicht in Sicht. Das Krankenhaus Neuwerk versucht mit einem elektiven Aufnahmezentrum vorzufiltern. Das „Eli“ will ein neues Software-System einsetzen. Das Maria Hilf versucht, leichte Fälle auf einer Überholspur durchzuschleusen, aber dazu benötigt man genügend Personal. „Wir brauchen eigentlich Notfallmediziner“, sagt Marc Deußen. Aber das ist momentan seitens der Ärzteschaft umstritten.