Stadt weiß seit neun Jahren von Gift
Ein Gutachten zeigt, dass die Stadt schon 2005 über belastetes Material in Straßen informiert war.
Mönchengladbach. Das Schlackengranulat aus der Bleierzeugung hätte „nicht als Bettungsmaterial in die Fahrbahn der Hindenburgstraße eingesetzt werden dürfen“. Denn es sei als „gefährliche Abfallart einzustufen“. Und: Von um 400 Prozent höheren Blei-Konzentrationen als erlaubt ist die Rede. Das alles steht in einem Gutachten mit Ergänzung des Bochumer Büros Krass und Mesters. Empfänger des Schreibens: die Stadt-Tochter NVV (heute NEW), die es seinerzeit in Auftrag gab, konkret Bauleiterin Hildegard Abrahams.
Das Gutachten kulminiert in dem Schlusssatz: „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es sich hier um ein Pflasterbettungsmaterial handelt, was aus verschiedenen Abfällen zur Verwertung besteht. Da es nicht güteüberwacht ist, war ein Einbau in einer öffentlichen Straße unzulässig, abgesehen von der abfallrechtlichen Brisanz.“
Zugestellt wurden die Schreiben im Juni 2005. Für die Geilenkirchener Bauunternehmung Tholen, die das Material seinerzeit einbaute, sind die Schreiben der Beweis dafür, dass die Stadt lügt. „Nunmehr besitzt die Stadt Mönchengladbach die Frechheit und lässt wahrheitswidrig berichten, dass das Gutachten vom 03.06.2005 und 20.06.2005 die einwandfreie Beschaffenheit des in der Hindenburgstraße eingesetzten Materials testiere“, teilt Geschäftsführer Willi Tholen mit.
Damit erreicht der Streit zwischen Stadt und Bauunternehmung eine neue Dimension. Rückblende: Vor Jahresfrist wurde bekannt, dass die Firma Tholen bei Pflasterarbeiten an der Süchtelner- und der Klumpenstraße in Neuwerk 2005/2006 giftiges Material eingebaut haben soll. Deswegen wurde sie 2013 von anderen Auftragsvergaben ausgeschlossen. Gegen diese Entscheidung klagt Tholen. Die Firma verweist auf die Kette von Lieferanten, von denen sie das belastete Material bezogen habe, und beharrt darauf, dass die Stadt seit 2005 gewusst habe, dass das Material anrüchig ist — dies aber gegenüber Tholen und der Öffentlichkeit nicht kommuniziert habe. Erst im Laufe des aktuellen Gerichtsverfahrens habe die Firma von den Ergebnissen des damaligen Gutachtens erfahren.
In der Tat scheint das 2005er Gutachten mitsamt Ergänzung zu belegen, dass die Stadt seit mehr als neun Jahren weiß, dass das 2004 an der Hindenburgstraße eingebaute Material keinesfalls in den Boden gehört. Denn auch hinsichtlich seiner Dauerhaftigkeit sei es „bedenklich“, heißt es in der Ergänzung zum Gutachten. Und dass die Analysen auf Metallhüttenschlacke aus der Bleierzeugung hinweisen.
Warum die Stadt die Firma Tholen 2005/2006 dennoch durchwinkte, als diese ihr — laut eigener Darstellung — mitteilte, an der Klumpen- und Süchtelner Straße das gleiche Bettungsmaterial wie an der Hindenburgstraße einzubauen, ist die große, ungeklärte Frage. Eine, die man bei der Stadt derzeit allerdings nicht beantworten möchte, mit Verweis auf das schwebende Verfahren.
Anfang der Woche hatte die Stadt mitgeteilt, man habe auch Proben an der Hindenburgstraße entnommen. Diese hätten „kein Negativergebnisse“ gebracht. Es solle nun aber erneut geprüft werden. Der entsprechende Auftrag sei am Mittwoch erfolgt.
Das 2005er Gutachten verrät genau, wo man die Proben nehmen sollte: auf dem Teilstück vor C&A. Denn auf Proben von dort fußt auch das Gutachten.
Es wurde 2005 in Auftrag gegeben, weil Tholen weder eine Güteüberwachung noch einen Eignungsnachweis des Pflastermaterials nachweisen konnte. Schon damals stritten sich die Firma und die NVV öffentlich.