Theater eröffnet die neue Spielzeit mit einer „Ausgrabung“
„Die Faschingsfee“ kommt 100 Jahre nach der Uraufführung erstmals nach Mönchengladbach. OB Reiners bekennt sich zum Theater.
Zum guten Ton einer Spielzeiteröffnung gehört, dass der Oberbürgermeister vor den geschlossenen Vorhang tritt und ein paar Worte der Begrüßung spricht. Schließlich sitzen im Parkett neben Kulturbeflissenen eine Reihe geladener Gäste aus Politik und Verwaltung. Hans Wilhelm Reiners wählte die Metapher von der Pralinenschachtel, mit der er das Angebot des Theaters verglich. Er machte das amüsant und unaufdringlich, ganz passend zur anschließenden Operette. Spontanen Beifall jedoch erhielt sein Bekenntnis zum Fortbestand des Theaters in seinen drei Sparten. Und das klang nicht einmal — am Vorabend der Bundestagswahl — nach Stimmenfang.
„Die Faschingsfee“ ist eine Ausgrabung. Fast genau 100 Jahre nach der Uraufführung kommt sie erstmals nach Mönchengladbach. Sie handelt von der Liebe, wovon sonst. Drei Stunden dauert der musikalische Spaß, der mit karnevalesker Maskerade und der ganzen musikalischen Routine eines Emmerich Kálmán, des Großmeisters der Silbernen Operette, das Kriegsgetöse außen vor lässt. Regisseur Carsten Süss inszeniert unterhaltsam, mit Ambition, Stärken und Schwächen. Er zeigt eine Gesellschaft, in der es unter der Oberfläche noch gehörig mieft, in diesem Fall nach alten, verdrängten, beinahe tausendjährigen Zeiten.
Wir befinden uns in der Mitte der 50er Jahre. Zum Protagonisten des Ewiggestrigen erklärt er die Figur des Staatssekretärs Mereditt, der schmierig, machohaft seine gesellschaftliche Stellung missbraucht und dem auch schon mal der rechte Arm zum Hitlergruß entartet. Juan Carlos Petruzziello, im richtigen Leben mit Carsten Süss ein Tenor-Duo, vermag die Szenerie nach Belieben mit seiner Präsenz zu dominieren. Allerdings wirkt das ähnlich brachial wie die Pointe, bei der im von röhrenden Hirschen in Öl auf Leinwand dominierten Foyer des Nobel-Hotels ein Führer-Porträt unterm Wagner-Kopf hervorrutscht.
Nun lässt sich der Operettenfan derlei gern gefallen, weil Kálmán einfach wunderbare Musik schreibt. Im Graben waltet der neue Erste Kapellmeister Diego Martin-Extebarria mit einer Intensität und Leichtigkeit, dass alle Walzer schwingen und mit kostbaren Farben prunken. Die Blechblas-Sektion der Niederrheinischen Sinfoniker gibt sich in edles Purpur gewandet, das Solocello darf beim ersten Kuss des Traumpaares nach Herzenslust schwelgen. Und so fort.
In der Titelrolle verströmt Debra Hays, die ewig junge Sopranistin des Ensembles, gediegene Keckheit; Michael Siemon füllt die Partie des Victor mit tenoralem Wohlklang und Schmelz zum Schwärmen. Das „niedere Paar“ wiederum ist mit Markus Heinrich und Gabriela Kuhn temperamentvoll und pointenreich besetzt.
In den drei Bühnenbildern hat Siegfried E. Mayer eine Vielzahl an (lustigen) Details mit prägnantem Lokalkolorit verknüpft. Die Künstlerkellerkneipe des 1. Akts liegt unter Straßenlaternen samt echter historischer Limousine, das Atelier des 2. Aktes zeigt riesige Leinwände unterm Glasdach. Das Hotel-Restaurant spielt witzig und mit Eisbärfell auf „Dinner For One“ an. Auch Kostümbildnerin Dietlind Konold darf in die Vollen greifen, was den Opernchor in ein Panoptikum von Kuriositäten verwandelt.
Allerdings wimmelt es im ersten Akt doch sehr, und die witzigen, aber letztlich übertexteten Dialoge sind trotz Mikroports schlecht zu verstehen. Wie überhaupt die akustische Abstimmung verbesserungswürdig erscheint. Das ganze Ensemble hat jedenfalls Spaß an der Arbeit, die vielen, teils komplizierten Choreographien sind hübsch anzuschauen, und die Spielfreude schwappt über die Rampe. Im Ohr bleibt nach dem Abend am ehesten das Lied „Liebe Himmelvater, sei nicht bös“, das an einem Wendepunkt der Handlung eingängige Melodien findet. Jäger von Operettenraritäten werden dafür gern und letztlich lohnend nach Mönchengladbach kommen.