Übergriffe schon in der Kita
Mit schlimmen Fällen wird Zornröschen konfrontiert. Und die Zahl der Ratsuchenden steigt. Gleichzeitig sinken die Spenden.
Mönchengladbach. Wenn die Zornröschen-Beraterinnen aus ihrem Alltag berichten, muss man hartgesotten sein, um einfach zur Tagesordnung überzugehen. Sexuelle Übergriffe von Kindergarten- oder Kita-Kindern an Gleichaltrigen, Hardcore-Pornos, die in Grundschulen über Handy ausgetauscht werden, innerfamiliärer Missbrauch, der immer noch totgeschwiegen wird — beim Team der Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen kommt das alles auf den Tisch.
540 Ratsuchende wandten sich im vergangenen Jahr an Zornröschen — fast hundert mehr als im Jahr zuvor. Besonders nachgefragt wurde das Online-Angebot, das Anfang 2010 für Jugendliche eingerichtet wurde. Mehr als 170 junge Menschen stellten per Chat oder E-Mail Kontakt her. Auffällig ist: Das Angebot, das eigentlich für die Region gedacht war, wurde deutschlandweit in Anspruch genommen.
„Jugendliche suchen gezielt nach Beratung, die möglichst weit weg ist, um ihre Anonymität noch besser wahren zu können“, vermutet Zornröschen-Mitarbeiterin Brigitte Bialojahn. „Die Angst sitzt tief.“
Die Online-Beratung wird fast ausschließlich von Jugendlichen in Anspruch genommen, die sexuellen Missbrauch tatsächlich erlebt haben, nicht von erwachsenen Kontaktpersonen, Familienangehörigen oder Fachkräften. „Die Betroffenen erzählen online sehr schnell und direkt“, sagt Sozialarbeiterin Petra Mensing, die dieses Angebot betreut. „Meist berichten sie Dinge, die sie noch nie jemanden erzählt haben.“
Über die Online-Beratung wollen die Zornröschen-Mitarbeiter den Erstkontakt erleichtern. Sie kann nicht das direkte Gespräch ersetzen. „Online kann man nicht tief einsteigen, weil man nicht abschätzen kann, wie der Klient am anderen Ende reagiert“, betont Bialojahn. Aber für einen positiven Erstkontakt ist das Medium ideal geeignet.
Bei allen Erfolgen: Zornröschen hat finanzielle Sorgen. Das Spendenaufkommen geht seit Jahren zurück. Es sank allein 2010 um mehr als 18 Prozent (siehe Kasten). Da Zornröschen seine Mitarbeiterinnen zu drei Vierteln aus Spenden bezahlt, wird der Rückgang langsam bedrohlich.
Auch in der Zusammenarbeit mit den Jugendämtern gibt es Probleme. „Nicht beim Mönchengladbacher Jugendamt“, betont Brigitte Bialojahn, „aber andere Jugendämter sitzen die Dinge aus, genehmigen Anträge erst nach einem halben Jahr.“ Bei sexuellem Missbrauch müsse jedoch schnell reagiert werden. Wenn das nicht so ist, bleiben die Kinder auf der Strecke. „Ihre seelischen Verletzungen müssten doch wenigstens die Hilfe erfahren, die Alkoholiker oder Drogensüchtige bekommen“, wünscht sich Michael Heinemann vom Vorstand des Vereins.