Vom Kampf zu überleben
Schüler der Gesamtschule Neuwerk haben Ruth Hermges, Überlebende der Judenverfolgung, getroffen. Ihnen erzählte sie ihre ergreifende Geschichte.
Mönchengladbach. Gespannt lauschen die Zwölftklässler der Gesamtschule Neuwerk den Berichten von Ruth Hermges. Sie erzählt ihnen, wie sie den Zweiten Weltkrieg erlebt und überlebt hat. In anschaulichen Beispielen schildert sie, wie es ihrer Familie erging. Manchmal hatten die Zuhörer das Gefühl, sie müsse gleich weinen.
„Ich habe nicht alles realisiert, weil ich ja noch ein kleines Kind war“, erzählt die Zeitzeugin. Sie wurde als drittes Kind der Familie Levy-Vergosen geboren. Ihr Vater war katholisch, ihre Mutter Jüdin.
Ruth Hermges wuchs in der Brunnenstraße auf, dort blieb die Familie bis zum Kriegsende. Ihr Vater wurde häufig von der Gestapo vorgeladen und aufgefordert, sich von seiner Frau zu trennen. Dieser Forderung kam er aber nicht nach.
Viele „kleine Schindler“, wie Hermges die Helfer bezeichnet, waren für ihre Familie da. Sie versteckten ihre Mutter, befreiten einmal ihren Bruder aus den Händen der Gestapo und halfen der Familie, wo sie nur konnten. Durch all diese Faktoren sei ihre Familie die einzige komplett überlebende Familie in der Umgebung gewesen.
Hermges erzählt auch von ihrer Scham, als sie schon als kleines Schulmädchen den Judenstern tragen musste: „Obwohl ich es noch nicht ganz verstand. Ich trug den Tornister vor meinem Bauch, weil ich mich schämte.“
Etwas, das ihr besonders leid täte, sei die versäumte Schulzeit. Sie ging zu Beginn des Krieges ein Jahr zur Schule, dann durfte sie nicht mehr. Nach dem Krieg sei sie zu alt gewesen, um weiter zu machen. Hermges wäre im Alter von 14 Jahren in die zweite Klasse gekommen.
Die Schüler sprudeln nicht nur vor Fragen, sondern auch vor Begeisterung: „Es ist Gold wert, was wir hier erfahren. Wir alle haben eine Kindheit, können zur Schule, haben genügend Essen. Wir wissen nicht, wie gut es uns geht! Unser Leben ist lebenswerter“, sagen Yasmina Al-Barkani und Mikail Kenter.
Hermges ist glücklich darüber, dass sich die jungen Leute noch einmal mit der Vergangenheit beschäftigen: „Es soll nicht der Zeigefinger erhoben, sondern vielmehr nicht vergessen werden. Die Aufklärung, wie sie heute schon zum Teil stattfindet, hätte schon 1945 so sein sollen. Aber es sollte noch mehr geben.“
Nach den Projekttagen werden die Schüler in der kommenden Woche Plakate zum Leben von Ruth Hermges und Hilde Sherman, einer weiteren Zeitzeugin, mit der sie sich beschäftigt haben, fertigstellen. Am Ende ist das Ergebnis des Projekts in einem Waggon des „Zugs der Erinnerung“ zu sehen (siehe Kasten).