Kriminalität Nach tödlichen Schüssen in Dortmund: NRW-Innenministerium prüft Bodycam-Pflicht

Düsseldorf · Die tödlichen Polizeischüsse mit einer Maschinenpistole auf einen 16-Jährigen haben viele empört. Jetzt soll die Polizei ihre Lehren daraus ziehen. Vorschriften kommen auf den Prüfstand, von besserer Sensibilisierung ist die Rede. Auch bei den Bodycams könnte sich etwas ändern.

Ein Polizeibeamter trägt eine Bodycam.

Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat nach dem tödlichen Einsatz in Dortmund Konsequenzen bei der Polizei angekündigt. Sämtliche Dienstvorschriften, die mit dem Einsatz zu tun haben, sollen überprüft, Polizisten außerdem besser für Suizideinsätze sensibilisiert werden, wie Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags berichtete. Geprüft wird außerdem eine Tragepflicht der Bodycam in jedem Einsatz und eine Aufzeichnungspflicht in bestimmten Fällen.

Ein Polizist hatte am 8. August bei einem Einsatz in Dortmund, der zunächst als Einschreiten bei einem Suizidversuch lief, einen 16-Jährigen mit einer Maschinenpistole erschossen. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Vor den Schüssen waren unter anderem Taser eingesetzt worden. Die Bodycams der Polizisten waren bei dem Einsatz nicht eingeschaltet.

Die Kameras müssten nicht nur getragen werden, sondern auch aufzeichnen - wann immer das rechtlich möglich sei, sagte Reul. Außerdem werde geprüft, ob Taser und Bodycam miteinander gekoppelt werden. Bei einem Taser-Einsatz müssten Bodycams gewissermaßen automatisch anspringen, sagte der Minister zu den Überlegungen. Der Video-Vorstoß sende das klare Signal: Polizistinnen und Polizisten hätten im Einsatzalltag nichts zu verbergen. Reul räumte aber auch ein, dass es zu dem Thema in der Vergangenheit bereits „schwierige Gespräche“ mit dem Personalrat gegeben habe.

Derzeit gibt es in NRW keine landesweite Tragepflicht für Bodycams. Zum Beispiel die Polizeipräsidien können aber verfügen, dass in bestimmten Situationen eine zu tragen ist. Die Polizei in NRW ist mit gut 9000 Tasern ausgerüstet. Bei etwa einem Drittel davon hatte es zuletzt Probleme mit dem Akku gegeben.

Er werde eine Prüfung aller relevanten Handreichungen, Dienstvorschriften und Manuale veranlassen, die mit diesem Einsatz zu tun hätten, kündigte Reul an. Die Regelungen zum Einsatz von Tasern oder der MP5 - mit der der Polizist in Dortmund geschossen hatte - sollen also auf den Prüfstand.

Außerdem müssten Polizisten noch stärker für das Thema Suizid sensibilisiert werden, sagte Reul. Der Jugendliche in Dortmund hatte sich zunächst selbst ein Messer an den Bauch gehalten. Ob und wie er nach dem Einsatz von Pfefferspray und Tasern dann tatsächlich auf die Beamten zuging, ist noch Gegenstand der Ermittlungen.

Reul sagte, es gebe zwar Spezialisten, diese seien aber an sechs Standorten untergebracht und könnten nicht standardmäßig zu jeder Suizidandrohung ausrücken. Das gehe angesichts der Größe Nordrhein-Westfalens und der vielen Einsätze nicht. Geplant ist demnach, das Wissen dieser Spezialisten etwa durch Schulungen zu Polizei-Führungskräften in der Fläche zu bringen.

„Das ist mehr als überfällig“, teilte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Christina Kampmann, mit Blick auf die angekündigte Überprüfung des Umgangs mit psychisch erkrankten Menschen mit. Reul habe noch vor zwei Wochen die Verantwortung völlig von sich gewiesen, Schlussfolgerungen aus dem Fall zu ziehen.

„Allergisch“ reagiere er, wenn die Polizei als „schießwütig“ bezeichnet werde, sagte Reul. 2021 habe es 4,5 Millionen polizeiliche Einsätze in NRW gegeben. In 13 Fällen sei es dabei zu Schusswaffengebräuchen gegen Menschen gekommen, in drei Fällen sei die Person gestorben. Zwischen 2016 und 2021 gab es demnach 99 Fälle mit insgesamt 23 Toten. In 51,5 Prozent der Fälle (51) sei ein Verfahren gegen Polizeivollzugsbeamte eingeleitet worden. In 90 Prozent (46) dieser Fälle wurden die Verfahren eingestellt.

Kampmann von der SPD teilte mit, die „Relativierungen“, die Reul mit der Zahl der Schusswaffeneinsätze im Vergleich zur Gesamtzahl der Einsätze subtil vermittelt habe, gingen gar nicht. „Das kann und darf jedenfalls nicht davon ablenken, dass hier ein Einsatz allem Anschein nach aus dem Ruder gelaufen sein könnte und es zu strukturellen Konsequenzen nach diesem Fall kommen muss“, teilte sie mit.

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(dpa)