Neue Statistik des Innenministeriums NRW: Fast 7000 Messerstraftaten in einem Jahr

Düsseldorf · Bei Messerattacken sind die Täter fast immer männlich, ein Drittel der Tatverdächtigen ist unter 21 Jahre alt. Die Gewerkschaft der Polizei in NRW fordert gezielte Aufklärungsangebote für die Problemgruppen.

Die Erkenntnisse der Polizei zeigen: Viele Menschen haben ein Messer bei sich. Das sieht die Gewerkschaft GdP mit Besorgnis.

Foto: dpa/Oliver Berg

In Nordrhein-Westfalen hat es im vergangenen Jahr 6827 Straftaten gegeben, bei dem Menschen mit einem Messer attackiert oder bedroht wurden. Das geht aus der neuen Stichwaffenstatistik hervor, die das Innenministerium seit 2019 führt. Innenminister Herbert Reul (CDU) stellte die Zahlen am Donnerstag im Fachausschuss des Landtages auf Antrag der AfD-Fraktion vor.

Ob hinter der Zahl eine Zu- oder Abnahme der Fälle steht, kann das Innenministerium nicht sagen – schließlich wurde das Messer als Tatmittel zuvor nie gesondert erfasst. Auf Nachfrage relativiert man im Innenministerium: In der zweiten Jahreshälfte seien in die Statistik auch alle waffenrechtlichen Verstöße eingeflossen – wenn etwa Messer am Rande anderer Straftaten oder bei Kontrollen festgestellt wurden. Es steckt also nicht hinter jedem der fast 7000 Fälle eine Messerattacke. Für Michael Mertens, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW, ist die Erhebung dennoch „eine Bestätigung der Gefühlswelt meiner Kollegen“. Es handele sich um „eine richtig hohe Zahl, die besorgniserregend ist“. Und man müsse schließlich davon ausgehen, dass noch viel mehr Menschen unentdeckt mit Stichwaffen am Körper herumliefen.

Test am Hauptbahnhof: 15 Messer bei 334 kontrollierten Passagieren

Das kann Dajana Burmeister von der Bundespolizeiinspektion am Düsseldorfer Hauptbahnhof aus eigener Erfahrung bestätigen. Im Herbst 2018 richtete die Inspektion testweise über ein Wochenende eine Waffenverbotszone am viel frequentierten Bahnhof ein und fand Beeindruckendes heraus: Bei 334 stichprobenartig kontrollierten Passagieren fanden die Beamten 15 Messer, darunter allein fünf nach dem Waffengesetz verbotene Einhandmesser – in sechs Fällen waren es Minderjährige, die derartig bewaffnet unterwegs waren. Auch sie nennt dieses Ergebnis „besorgniserregend“ und glaubt, die Aktion habe sich trotz des kurzen Zeitraumes gelohnt, „um ein Zeichen zu setzen“.

Mehr war der Bundespolizei seinerzeit nicht erlaubt. Das allerdings ändert sich gerade: Bundestag und Bundesrat haben jüngst eine Verschärfung des Waffenrechts beschlossen, welche den Bundesländern auch eine dauerhafte Einrichtung von Waffenverbotszonen ermöglichen soll. Voraussichtlich Mitte des Jahres soll die Neuregelung in Kraft treten. Prominentestes Vorbild für solche Zonen ist die Reeperbahn in Hamburg, wo seit 2007 Messer, Schusswaffen oder Reizstoffsprühgeräte verboten sind. In NRW sind sie „noch nicht konkret geplant, aber für die Zukunft nicht ausgeschlossen“, wie ein Sprecher auf Anfrage erklärt.

Die Bundespolizei hatte an den Hauptbahnhöfen in Düsseldorf und Köln schon mal kurzzeitig Waffenverbotszonen eingerichtet.

Foto: Oliver Berg

Die Messertäter sind meist männlich und oft noch jung

Ohnehin gibt Gewerkschafter Mertens zu bedenken: „Alle Verbote sind nur so gut wie ihre Kontrolle.“ Wichtiger ist ihm, dass die neue Statistik jetzt in Präventivkonzepte umgesetzt wird. Und zwar maßgeschneidert auf die regionalen Brennpunkte und die relevanten Zielgruppen. Die Zahlen des Ministeriums zeigen: Die ermittelten Tatverdächtigen sind vorwiegend männlich und oftmals noch jung. 5929 (88 Prozent) der 6736 Verdächtigen waren männlich (807 weiblich), 2645 (39,3 Prozent) besaßen keine deutsche Staatsbürgerschaft. Unter ihnen waren 4589 Erwachsene, 805 Heranwachsende 1062 Jugendliche und sogar 280 Kinder unter 14 Jahren – somit war fast ein Drittel der Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt.

„Junge Menschen unterschätzen die Wirkung eines Messerstichs“, glaubt Mertens. Es bei sich zu tragen, vermittele ihnen eine „trügerische Sicherheit“; denn sei die Waffe erst einmal vorhanden, schaukelten sich Konflikte viel schneller hoch. „Und ein Messer hat oft lebensbedrohliche oder auch tödliche Folgen“, verdeutlicht er. Deshalb hofft der Gewerkschaftschef, dass die Erkenntnisse für eine gezielte Aufklärungsangebote innerhalb der Gruppen genutzt werden, die in der Statistik herausstechen: „Prävention ist ein wichtiges Mittel. Dazu sind die Zahlen auch da.“

Aber auch für die Polizei ergebe sich aus den Fallzahlen Handlungsbedarf, so Mertens: „Die Erfahrungen müssen in die Einsatztaktik einfließen.“ Wenn Einsatzkräfte davon ausgehen müssten, dass ein großer Teil der NRW-Bevölkerung heutzutage mit einem Messer bewaffnet sei, bedeute das etwa: „Wir müssen in Stresssituationen Distanz wahren – was ein Widerspruch zur gelebten Bürgernähe ist.“ In der Aus- und Fortbildung solle das berücksichtigt werden. Er erneuert zudem die Forderung der GdP, den Streifendienst im Land mit Elektroschockpistolen – auch Taser genannt – auszurüsten. „Wir fordern, den Pilotversuch endlich zu starten“, sagt Mertens. Das steht immerhin laut Medienberichten bevor.