Rahmede-Talbrücke bei Lüdenscheid Brückendebakel, Lkw-Albtraum und Politkrimi

DÜSSELDORF/LÜDENSCHEID · Die seit Ende 2021 voll gesperrte Rahmede-Talbrücke bei Lüdenscheid bringt Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Erklärungsnot.

Die Sperrung der Rahmede-Talbrücke der „Sauerland-Linie“ A45 und ihr Neubau haben erneut ein parlamentarisches Nachspiel.

Foto: dpa/Dieter Menne

Die Menschen rund um Lüdenscheid sind durch die Sperrung der Rahmede-Talbrücke und die Umleitungen des Verkehrs, insbesondere des Lkw-Verkehrs, nervlich und wirtschaftlich schwer getroffen. Umso schlimmer: Im Nordwesten des Sauerlands ist kein Ende der kaum erträglichen Situation in Sicht. Wann ein Ersatz für die immer noch nicht gesprengte monumentale Autobahnbrücke neu gebaut wird, ist unklar. Und jetzt wird das Ganze auch noch zum Politikum im Düsseldorfer Landtag: Die Opposition sieht Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auch in seiner vorherigen Funktion als zuständiger Verkehrsminister zumindest im Zwielicht. Und traut ihm offenbar eine Mitverantwortung an dem Desaster zu. Aber der Reihe nach:

Seit Ende 2021 gesperrte Brücke: Umgeleitete Lkw werden zum Alptraum der Menschen

Mängel an der Autobahnbrücke waren schon länger bekannt. 2012 wurde eine Sanierung beschlossen, die dann aber 2014 zugunsten eines Brückenneubaus wieder verworfen wurde. Dieses Vorhaben wurde aber zeitlich nach hinten geschoben. Zu lange, wie sich herausstellte. Denn seit Anfang Dezember 2021 ist die A45 zwischen den Anschlussstellen Lüdenscheid-Nord und Lüdenscheid für den gesamten Verkehr voll gesperrt. Die Autobahn GmbH hatte bei einer Brückenkontrolle Schäden am Tragwerk festgestellt, weshalb die Brücke aus Sicherheitsgründen unmittelbar gesperrt werden musste.

Es geht bei der Autobahn 45 um nicht weniger als die wichtigste Verbindung zwischen dem Ruhrgebiet und Frankfurt. Für den Fernverkehr wurde eine weiträumige Umleitungsstrecke eingerichtet. Doch durch Lüdenscheid verläuft die sogenannte Bedarfsumleitung.

Was sich in der Expertensprache des Landesbetriebs Straßen.NRW nach „alles im Griff“ anhört, bedeutet vor Ort: Chaos. Die Ausweichstrecken sind überlastet. Täglich quälen sich rund 20 000 Fahrzeuge, davon rund 6000 Lastwagen, über Umleitungsstrecken durch Lüdenscheid. Anwohner sprechen angesichts der tags wie nachts durchfahrenden Lkw von einem Albtraum von Lärm und Feinstaub. Lüdenscheid und das Umland sind von Lieferproblemen, Umsatzeinbrüchen und der Abwanderung von Arbeitskräften betroffen.

Und dieser Albtraum hat nicht einmal ein absehbares Ende. Im vergangenen Jahr hatte  Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zwar verkündet, die Brücke werde noch 2022 abgerissen.  Doch sie steht immer noch. Dann hieß es Ende letzten Jahres aus dem Bundesverkehrsministerium: Auch wenn es mit der Sprengung leider nicht so schnell geklappt habe, habe dies keinerlei Einfluss auf die Planung und den Neubau. Baurechtsverfahren und Vergabeverfahren liefen davon unabhängig und parallel, sodass die neue Brücke fünf Jahre nach der Sperrung fertig sein werde, also Ende 2026. Doch daraus dürfte wohl auch nichts werden. Der Baubeginn dürfte sich auf mindestens 2026 verzögern, weil entgegen bisheriger Annahme ein Planfeststellungsverfahren für den Neubau erforderlich ist.

Gelöschte Mails: Was wusste und tat der damalige Verkehrsminister Hendrik Wüst?

Und hier wird es politisch. Im Mai 2020, lange bevor es Ende 2021 zur Vollsperrung der Brücke kam, hatte es einen Mailaustausch zwischen dem NRW-Verkehrsministerium (damaliger Chef: Hendrik Wüst, heute Ministerpräsident) und der Staatskanzlei gegeben. Thema: die  Rahmede-Talbrücke. Ging es da um die Verschiebung des Neubaus?  Hat der damalige Verkehrsminister Wüst Einfluss auf eine entsprechende Entscheidung genommen?

Die SPD will das Thema am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde im Landtag debattieren und fragt: „Wurden dienstlicher Schriftverkehr und E-Mails vernichtet, die hätten erklären und belegen können, wie es zu der Entscheidung kam, den Neubau der Talbrücke Rahmede auf der A45 zu verschieben?“ Dies lege eine aktuelle Berichterstattung von t-online vom 22.01.2023 nahe.

Danach soll die schwarz-grüne Landesregierung eingeräumt haben, dass brisante E-Mails aus dem Jahr 2020 verschwunden sind. Nathanael Liminski (CDU), damals Chef der Staatskanzlei, hatte Fragen zur Talbrücke Rahmede an das von seinem Parteifreund Wüst geführte Verkehrsministerium gerichtet. Gegenüber t-online hätten sowohl die Staatskanzlei als auch das Verkehrsministerium bestätigt, dass dienstliche E-Mails, die aufeinander Bezug nehmen, zufälligerweise in beiden Häusern gelöscht wurden.

Im Landtag habe der jetzige Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) behauptet, dass er die Fragen der Abgeordneten etwa zur Verantwortung von Ministerpräsident Wüst und zur zeitlichen Abfolge von Entscheidungen zu den Planungen wegen fehlender Akten und Informationen nicht beantworten könne.

Die Entscheidung, den Beginn des Neubaus zu verschieben, habe sich als großer Fehler erwiesen, schreibt die SPD in ihrem Antrag für die Debatte im Landtag. Die betroffenen Menschen in der Region, die Unternehmen und auch die Kommunen, die alle unter den Auswirkungen der durchtrennten Lebensader A45 leiden, hätten einen Anspruch darauf, zu erfahren, „warum es dazu kam und wer das zu verantworten hat“.

Die FDP, die ebenfalls Aufklärung von der schwarz-grünen Landesregierung fordert, verweist in ihrem Antrag für die Aktuelle Stunde im Landtag darauf, dass die Region um Lüdenscheid mit mehr als 160 Weltmarktführern aus dem Mittelstand zu den drei Top-Industrieregionen in Deutschland gehört. Angesichts der  starken Verkehrseinschränkungen drohe der ganzen Region nun der wirtschaftliche Infarkt. Viele Unternehmen und Arbeitskräfte in der Region dächten bereits über Abwanderung nach. Für die Liberalen erscheint es „äußerst fragwürdig“, dass der damalige Verkehrsminister und heutige  Ministerpräsident Hendrik Wüst nicht in eine Entscheidung über eine Verschiebung des Neubaus involviert gewesen sei.