Brexit treibt Briten nach Meerbusch
Im vergangenen Jahr haben in Meerbusch zwölf Personen aus Großbritannien den deutschen Pass beantragt.
Christine Proctor ist schon lange angekommen. Seit 15 Jahren arbeitet die gebürtige Britin in der Verwaltung der Internationalen Schule in Kaiserswerth. Sie hat in Deutschland Germanistik studiert, weil ihr als Kind die deutsche Sprache so gut gefiel. Sie ist immer zurückgekommen, auch nach fünf Jahren in Südafrika. In Meerbusch wohnt sie heute nicht nur, dort lebt sie auch. „Nach England zieht mich nichts zurück“, sagt sie. Den deutschen Pass hat über all die Jahre trotzdem nie beantragt. Wozu auch? Bisher gab es keinen Grund dafür. Ist nicht nötig, dachte sie. Wir sind ja alle Europäer. Und per Brief wählen durfte sie vom Ausland aus 15 Jahre lang auch.
Diese Frist lief jetzt aus. Dann kam das Brexit-Referendum im Juni 2016 — die Abstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der EU. Die Entscheidung ihrer Landsleute hat Christine Proctors Wunsch, Deutsche zu werden, befeuert. „Ich wollte weiter wählen dürfen“, sagt sie. Und: „Ich hoffe, dass England nicht zu sehr unter dem Brexit leidet.“
94 Menschen sind seit Mai vergangenen Jahres in Meerbusch eingebürgert worden. Sie kommen von den Philippinen, aus Indien und Eritrea, aus Sri Lanka und Kenia, aus Polen und Griechenland, aus Pakistan, Slowenien und dem Libanon.
„Die Zahl der Briten, die einen deutschen Pass beantragt haben, war noch nie so groß wie in den vergangenen zwölf Monaten“, sagt Carola Bessell, die sich bei der Stadt Meerbusch um die Einbürgerungen kümmert. „Zwölf waren es im vergangenen Jahr insgesamt. Die meisten leben seit 20, 30 Jahren in Meerbusch, das Brexit-Referendum hat für sie den Ausschlag gegeben. In den ersten Wochen nach der Entscheidung kamen fast täglich Anträge rein.“
Im gesamten Rhein-Kreis wollen seither immer mehr Briten Deutsche werden. Die Kreis-Einbürgerungsbehörde hat in diesem Jahr schon 19 Briten eingebürgert. Sie ist zuständig für Grevenbroich, Meerbusch, Kaarst, Korschenbroich, Jüchen und Rommerskirchen.
Insgesamt leben im Rhein-Kreis Neuss aktuell rund 630 Briten. Einer von ihnen ist Irvine Wilson. Er arbeitet für ein britisches Unternehmen und lebt seit 1985 in Deutschland, seit 1995 in Meerbusch. Der Brexit, sagt er, habe in ihm ein Gefühl der Unsicherheit ausgelöst. „Für mich war damit die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft klar. Obwohl das psychisch gar nicht so einfach ist. Ich hatte das Gefühl, dass ich meiner Heimat den Rücken zuwende, und das hat mich schon ein bisschen traurig gemacht.“
Von ihren Gefühlen überwältigt wurde auch Angela Philp-Briski. Ihre ganze Familie lebt in Deutschland, seit mehr als 40 Jahren schon. Auch für sie war der Brexit der Auslöser für die Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft. Ein Zuhause ist Meerbusch aber lange schon. „Dass mir bei der Einbürgerung die Tränen kommen, hätte ich nicht gedacht.“
Tatsache ist: Über den Ausgang der Austrittsverhandlungen Großbritanniens mit der Europäischen Union lässt sich viel spekulieren. Da im März auch offiziell der Austritt beantragt wurde, ist nunmehr klar: Bis März 2019 müssen die Verhandlungen abgeschlossen sein.
Ob die Briten weiter die europäische Freizügigkeit für Unionsbürger genießen? Für die hierzulande Lebenden ist das eine existenzielle Frage. Viele Meerbuscher Briten jedenfalls wollen auf Nummer sicher gehen. Die Bürgermeisterin hieß alle Neubürger am Dienstag bei einem Festakt in der Teloy-Mühle willkommen. „Noch nie haben wir in nur einem Jahr so viele Menschen aus England als neue deutsche Staatsbürger hier in Meerbusch begrüßen können“, sagt Angelika Mielke-Westerlage. „Der Auslöser liegt auf der Hand: Der bedauerliche Brexit, der Austritt der Briten aus der EU, hat seine Spuren hinterlassen, und niemand weiß genau, was er auf Dauer noch mit sich bringt. Fakt ist: Viele Briten, vor allen diejenigen, die zum Teil schon Jahrzehnte in Meerbusch leben, wollen EU-Bürger bleiben. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist dazu der einzig mögliche Weg.“