Die Heimat in Meerbusch gefunden

Familie Kawasaki führten Beruf und Interesse aus Japan nach Meerbusch. Ans Wegziehen denken sie heute nicht mehr.

Foto: Anne Orthen

Für Kai ist die Sache klar. „Bist du Deutscher oder Japaner?“, fragt ihn sein Vater. „Deutscher!“, sagt der Zwölfjährige bestimmt. „Aber du siehst gar nicht so aus“, entgegnet Eiichiro Kawasaki und bekommt als Antwort nur ein lässiges Schulterzucken, dann lachen beide.

Familie Kawasaki — das ist das Ehepaar Eiichiro und Chiemi mit seinen drei Kindern Mai, Kai und Rai — wohnt idyllisch in Osterath. Die Tür zum großen Garten ist offen, die Söhne spielen draußen Fußball, toben sich auf dem Trampolin oder an der Reckstange aus.

Für Eiichiro Kawasaki ist es das, was er am Leben in Deutschland besonders schätzt: „Geräumigkeit.“ In Japan hätten die meisten Menschen nicht so viel Platz, erzählt er. Seine Schwester etwa wohne zwar in einem für japanische Verhältnisse großen Haus. „Aber wenn sie das Fenster aufmacht, steht in 30 Zentimetern schon das nächste Haus.“ Kawasaki zeichnet die Distanz mit den Zeigefingern auf dem Küchentisch nach. Das kann er sich nicht mehr vorstellen.

Die Kawasakis gehören zu den 537 Japanern, die in Meerbusch leben. Nur aus der Türkei (721) und aus Polen (676) wohnen mehr Menschen in der Stadt. Viele kommen als Expatriate, „Expats“. Als Fachkräfte werden sie für eine gewisse Zeit — oft zwei bis drei Jahre — von ihren Firmen zu Zweigstellen entsandt. Viele kehren danach nach Japan zurück. Für die Kawasakis jedoch ist Deutschland kein Übergangsort, kein Abenteuer auf Zeit, sondern Heimat. Sie bleiben hier.

Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Eiichiro Kawasaki und seine Frau Chiemi führten verschiedene Wege nach Deutschland. Für sie war es ein langgehegter Wunsch, für ihn Zufall, vielleicht Schicksal. Dann lernten sie sich bei der Arbeit kennen und wurden ein Paar.

Eiichiro war 19, als er als Tourist nach Düsseldorf kam. „Mein Onkel wollte mich nicht mehr gehen lassen, ich sollte ihm hier bei der Arbeit helfen“, erinnert er sich. Also blieb er, arbeitete vor allem im Fisch-Großhandel, der viele japanische Restaurants belieferte.

Nach zehn Jahren wollte er in sein Heimatland zurückkehren, eine japanische Firma jedoch bot ihm einen Job in Erkrath an — seine Deutsch- und Englischkenntnisse und die Berufserfahrung im Ausland waren ausschlaggebend. Das Angebot war lukrativ, Kawasaki entschied sich um und blieb.

Hier sei das Leben angenehmer, weniger hektisch, sagt er heute. In Meerbusch gefällt es ihm gut. Es ist ländlich, die Natur schön, zu Fuß lassen sich Kühe und Pferde besuchen, trotzdem gibt es Arbeitsplätze, sagt der Japaner. Und die Nähe zu Düsseldorf genießt er ebenso. „Wenn man als Japaner auf die Immermannstraße geht, findet man dort alles“, sagt er. Dinge, die er dennoch vermisst? „Heiße Quellen, da kann man sehr gut relaxen“, sagt Eiichiro. Und rohe Meeresfrüchte.

Bei seiner Frau war es anders: „Ich hatte schon immer Interesse daran, Europa und vor allem Deutschland kennenzulernen“, sagt Chiemi Kawasaki. In der Uni nahm sie während des BWL-Studiums Deutschunterricht, las Bücher oder schaute Filme über Europa. „Aber ich wollte es mit eigenen Augen sehen, es erleben“, sagt sie. Vor allem reizte sie die Kultur: die Gemälde, die Musik hierzulande. Bis heute. „Die Kinder spielen alle Klavier, ich darf jeden Tag der klassischen Musik zuhören. Das ist mein Genuss“, sagt sie. Auch für Chiemi bringt das Land mehr Ruhe. „In Tokio zum Beispiel sind so viele Menschen. Ich verstehe jedes Wort, kann nicht selbst entscheiden, was ich aufnehmen möchte und was nicht“, sagt sie. Auf Deutsch fällt ihr das Filtern leichter. „Da es nicht meine Muttersprache ist, muss ich mich mehr konzentrieren und nehme nur die Dinge auf, die für mich wichtig sind.“

Die Kinder, sagt das Paar, erfahren in Deutschland ein ganz anderes Leben. „Sie haben viel mehr Freiheiten“, sagt Chiemi. „In Deutschland können sie freier ihre Meinung sagen, auch mal etwas Kritisches.“ Die Mutter freut das, in Japan sei das eher unerwünscht. Dabei hat auch die deutsche Schule einen großen Einfluss, dort lernen sie, direkt zu kommunizieren. „Manchmal bin ich selbst überrascht“, sagt die Mutter.

Chiemi Kawasaki, Mutter

Zuhause gibt es bei der Erziehung aber auch große japanische Einflüsse. „Wenn ein japanischer Vater einmal sagt, ,Tu das nicht‘, dann ist Schluss. Das war bei meinem Vater auch so“, erklärt Eiichiro. Bei deutschen Familien könne man hingegen beobachten, dass selbst nach dem zehnten „Tu das nicht“, die Kinder häufig nicht auf ihre Eltern hörten.

Die Kawasaki-Geschwister sprechen zuhause mit ihren Eltern nur Japanisch, siezen sie auch — ein Zeichen von Respekt. „Die Kinder sollen von ihren Eltern lernen.“ Zehn Minuten pro Tag sollen Mai, Kai und Rai Japanisch üben, Vokabeln in ein Heft schreiben zum Beispiel. „Dann sagen sie oft: Ich will das nicht, ich bin Deutscher“, sagt Chiemi. Anders sieht das am Japantag aus. „Dann sind sie stolz, fahren mit ihren Freunden nach Düsseldorf und zeigen ihnen die japanische Kultur.“ Auch beim Essen sind die Kinder große Japan-Fans. Ein Drittel der Gerichte, die zuhause gekocht werden, sind japanisch. Zwei Drittel international. „Die Kinder mögen gerne die Klassiker — Reisgerichte, Miso-Suppe“, sagt Chiemi. Und natürlich Sushi. Da ist die Mama gefragt: „Andere Mütter backen Kuchen und geben den in die Schule mit. Meine Kinder möchten, dass ich frisches Sushi mitgebe.“