Die Nierster Narren sind gelandet
Beim Rosenmontagszug bewiesen die Nierster große Kreativität.
Kaum schwärmt eine 80-Jährige noch von leckeren Blutwurststullen und selbstgebackenen Ballen, die es früher an Rosenmontag immer beim Nachbarn gab, biegt auch schon ein riesiger „Ghettoblaster“ um die Ecke. Auf dem Nierster Karnevalswagen wibbeln coole Vokuhila-Träger zu cooler 80er-Jahre „Mucke“ und werfen jede Menge Kamelle. Aber damit sind sie noch längst nicht die Coolsten im Dorf. Gegen die Lederbrüder von der „Blue Oyster“-Bar kommt keiner so schnell an. Na, am ehesten vielleicht noch die Ehefrauen. Eine weigert sich nämlich, ihren Mann mit Ledermontur, Sonnenbrille und rotem Lippenstift zu küssen: „Heute lieber nicht, mein Schatz!“ Mit Hormonen hat laut Selbstauskunft auch die Fußgruppe Abels experimentiert: Mit schwarzer Wallemähne, prall ausgefülltem, rotem Abendkleid und natürlich Vollbart ziehen die Männer „Conchita’s Wurstwagen“ durch die Straßen. All das passt hervorragend zum Nierster-Karnevalsmotto „Heimat is…, os Neesch am Ring!“. Das Dorf präsentiert sich tolerant und offen, jeder findet sein Pläsierchen. Und der traditionelle Wurstwagen samt Pajas fühlt sich nicht von Conchita & Co. die „Wurst“ vom Brot genommen. „Wir machen das wie immer — heute Abend wird die Wurst im Zelt gekocht, gebraten und verspeist“, erläutern Jörg Pfützenreuter und Werner Horster, die sich auf dem Bratwurst-Express um die Abhängeware kümmern. Gereicht wird ihnen die meterlange, frische Bratwurst vom Pajas, der am Vormittag von Lutz Lenzen (36) gemimt wird. „Am Nachmittag löst mich der Vereinsnachwuchs, Philipp Müller, ab“, sagt der Clown und Wahrzeichen des kleinen Dorfes.
Niertser Karnevalsmotto
Ablösung für den Pajas, der den ganzen Tag Wurst einsammelt, ist nur fair. Denn der Zug in Nierst ist bekanntermaßen lang, und gestern bei Kaiserwetter waren die Jecken von „Kött on Kleen“ zudem in bester Feierlaune. Insgesamt zwölf Motto-Wagen schickten sie auf den Asphalt. Und neben „Ghetto“ gab es noch ganz andere Interpretationen vom schönen „Neesch am Ring“. Sechs Wochen bastelten Ulf Marx und seine Kameraden etwa am Pappmaschee-Berg samt Gondel namens „Kullenbergbahn“. „Rhein und Berg, das ist für uns einfach die perfekte Heimat.“ Es kurvte aber auch ein respektables „Wikinger-Schiff“ mit zottelig aussehender Mannschaft durchs Dorf, ein Wagen voller Computer-Helden à la „Super-Mario“, ein Nest voller „Neescher-Adler“, „Die Minions“, ein bunter Bauernhof mit allerlei Getier oder wilde Piraten, die aus einer mit Schilfgras gesäumten Blockhütte bunte Plastikkugeln in die Menge ploppten.
Aber was wäre all das ohne blaues, jeckes Blut? Direkt hinter dem wurstigen Pajas marschierte Prinz Markus I. mit seinem Gefolge. Schon vor 25 Jahren träumte er davon, später mal dieses Amt inne zu haben. „Damals war ich noch Kinderprinz“, erklärte der inzwischen 36-jährige Markus Neuhausen. Sichtlich in guter Laune zeigte sich auch das amtierende Kinderprinzenpaar: Vom knallbunten Hippie-Bus aus warfen Prinzessin Lina und Prinz Jannik Kamelle und riefen „Neesch Helau!“
Ein echtes Nierster Urgestein ist auch Fahnenschwenker Gerd Rose. Mehr als ein Vierteljahrhundert lang eröffnet er bereits den Zug. „1982 war mein Mann auch der Prinz“, berichtete Inge Rose (67), die selbst im Frauen- und Seniorenkarneval aktiv ist.