Schulen in Meerbusch Mehr Zusammenarbeit für den Ganztag an Meerbuschs Grundschulen
Meerbusch · Es sind große Summen, die die Stadt Meerbusch in den kommenden Jahren in den Ausbau der Schulen investiert. Das ist nötig, weil zum einen die Schülerzahlen steigen. Zum anderen brauchen die Schulen mehr Räume, um für 2026 gewappnet zu sein, wenn es für die Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Offenen Ganztag gibt.
Das bietet für den Schulalltag Möglichkeiten zur Entwicklung. Um die Chance bestmöglich zu nutzen, arbeiten seit zwei Jahren Schulleitungen und die Leitung des Vereins OBV, der die Betreuung des Ganztags in Meerbusch organisiert, zusammen mit der Schulverwaltung der Stadt an einem neuen Konzept. Mit einer neuen Organisationsform sollen die neuen Räume für mehr Miteinander beim Lernen genutzt werden.
Rhythmisierter Ganztag heißt das Modell. Bislang finden Unterricht und Betreuung im Ganztag in zwei Blöcken verteilt auf Vormittag und Nachmittag statt, Experten sprechen vom additiven System. Beim rhythmisierten Ganztag wechseln sich Unterricht und freie Angebote aus dem Ganztag miteinander ab. Dies hat den großen Vorteil, dass Spannung und Entspannung sich abwechseln. „Das ist wichtig für den Lernerfolg, erklärt Elisabeth Funke, pädagogische Leiterin beim OBV. Pausen und Entspannung seien wichtig, damit das Stresshormon Cortisol sinken kann. Dies sei eine Voraussetzung für die Verarbeitung von Informationen, so dass sie vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis gelangen können.
Vom pädagogischen Mehrwert des rhythmisierten Ganztags ist auch Anne Weddeling-Wolff überzeugt. Die Leiterin der Martinus-Schule und Sprecherin der Grundschulen setzt das Konzept derzeit in zwei von vier ersten Klassen um. An der Nikolaus-Schule unter der Leitung von Markus Niemann arbeitet eine von drei ersten Klassen im rhythmisierten Ganztag. Vor der Einführung besuchten die beiden Schulleitungen Grundschulen in Dinslaken und Hagen, an denen das Modell bereits seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert wird. Sie informierten sich über die Erfahrungen und fanden ihre positive Einschätzung bestätigt. „Keiner kannte eine Schule, an der der rhythmisierte Ganztag wieder abgeschafft wurde“, berichtet Anne Weddeling-Wolff.
Als einen Vorteil erlebt die Schulleiterin die enge Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams: Darin arbeiten Lehrkräfte zusammen mit Sonderpädagogen, sozialpädagogischen Fachkräften für die Eingangsphase, Jugendsozialarbeiter und den vielseitig ausgebildeten Mitarbeitern des OBV als Erzieher, Diplom Pädagogen oder Sozialpädagogen. Für die Gestaltung der freien Angebote aus dem Ganztag tauscht sich das Team aus, inwieweit Inhalte aus dem Unterricht dort in spielerischer Form umgesetzt werden können. Als Beispiel: Je nach Alter oder Wissensstand können die Kinder etwa beim Mixen von Saft-Cocktails Rezepte lesen, Einkaufslisten schreiben und Mengenangaben für die Zahl der Kinder umrechnen.
Damit einher geht ein erweiterter Bildungsbegriff, sagt Schulleiter Markus Niemann. „Nicht nur Unterricht bildet.“ Schließlich habe sich mit der Entwicklung des Ganztags viel von der privaten Freizeit in die Schule verlagert. Die Angebote der Musikschule in den Schulen ist eine Folge davon. Als positiv und stärkend sieht er, dass die Kinder aus dem freien Angebot selbst wählen, was für sie gerade passend ist.
Zusammenhalt innerhalb
der Klassen wird besser
Einen weiteren Vorteil nennt Anne Weddeling-Wolff: „Der Austausch wird viel intensiver.“ Denn die engere Zusammenarbeit von verschiedenen Kräften führt zu mehr Eindrücken aus unterschiedlichen Perspektiven auf das einzelne Kind. Und wenn dieses einmal Probleme mit einer Person hat, ist es leichter für das Kind, sich einer neutralen Person anzuvertrauen. Während in den anderen Klassen nach dem Unterricht die Schüler in verschiedene Gruppen wechseln – Ganztag, verlässliche Mittagspause oder eben nach Hause gehen – bleibt die Klasse im rhythmisierten Ganztag zusammen. „Das stärkt den Zusammenhalt“, so der Eindruck der Schulleiterin nach der Erfahrung der ersten Monate.
Schuldezernent Peter Annacker weist darauf hin, dass heute, viel häufiger als früher, Kinder mit ADHS und Autismus in die Schulen kommen. „Die Zahl hat deutlich zugenommen.“ Mit den veränderten Räumlichkeiten und der Flexibilität, die der rhythmisierte Ganztag biete, gebe es mehr Möglichkeiten, um den Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden. Dies sieht auch Weddeling-Wolff so. „Die Haltung hat sich geändert. Früher hieß es: ,Wer stört, muss raus.’ Heute fragen wir uns: ,Wie kriegen wir alle mit?“ Das System müsse sich auch an die Bedürfnisse der Kinder anpassen.
Dazu gehört eine gute Betreuung bei den Hausaufgaben, die ebenfalls durch die intensive Zusammenarbeit der verschiedenen Kräfte gewinnt. Dies sei für mehr Bildungsgerechtigkeit wichtig, betont Markus Niemann. Angesichts langer Schultage sei es umso wichtiger, dass wenn die Kinder nach Hause kommen, das Thema Schule abgeschlossen ist, betont Elisabeth Funke vom OBV.
„Der Lebensraum Schule muss den Kindern gerecht werden“, findet auch Dezernent Peter Annacker. Er ist überzeugt, dass sich Investitionen in Bildung und ein Schulalltag, der stärker an den Bedürfnissen der Kinder orientiert ist, sich günstig auf ihre Persönlichkeit auswirkt. „Ich denke, dass sich dies eines Tages auch volkswirtschaftlich auszahlen wird.“
Auf große positive Resonanz stößt das neue Modell bereits bei vielen Eltern. „Die Nachfrage ist groß“, berichten die Schulleiter. Etwa zweidrittel derjenigen, die einen Platz im Offenen Ganztag haben, möchten dass ihr Kind diese Art der Beschulung erfährt. „Warum nicht schon früher?“, würden manche fragen. Im kommenden Schuljahr beteiligen sich weitere fünf Schulen an dem Modell.
Anne Weddeling-Wolff findet es wichtig, dass die Eltern weiterhin eine Wahl haben, wie und ob das Kind im Ganztag betreut wird. Die Lerninhalte bleiben in allen Formen die gleichen. Sie sieht durch die Umstellung Änderungen für die Pädagogen: Die Abstimmung der verschiedenen Beteiligten in der rhythmisierten Form sei mit viel Aufwand verbunden, stellt Anne Weddeling-Wolff klar.
Gleichzeitig freuen sich die beiden Schulleitungen, dass sie nun vieles umsetzen, über das sie sich schon seit Jahren austauschen. Denn angesichts einer Verdichtung von Lehrinhalten blieb dafür bislang keine Zeit. „Die Beschäftigung mit dem rhythmisierten Ganztag ist ein Motor für Schulentwicklung“, hat Anne Weddeling-Wolff festgestellt. Die andere Art der Organisation ermöglicht neue Spielräume und mehr Offenheit. „Die Türen stehen häufiger offen“, berichtet Niemann.