Der Stollen-König von Neuss
Konditormeister Wiljo Klein hat ein Händchen für Christstollen.
Neuss. Die Zauberformel steht sorgfältig abgeheftet im Aktenschrank der Bäckerei von Wiljo Klein. Dabei sollte man zunächst gar nicht meinen, dass auf dem abgenutzten gelblich-braunen Zettel irgendetwas Besonderes notiert worden sein könnte. Doch das ist es. Darauf steht das vielleicht beste Christstollen-Rezept in Neuss, sicherlich aber das wohl meist prämierte.
Vor wenigen Tagen ist Kleins Stollen zum sechsten Mal in Folge mit der Goldmedaille des Verbands des Rheinischen Bäckerhandwerks ausgezeichnet worden. Damit ist Klein so etwas wie der Neusser Stollen-König. Die Prüfer testeten den Stollen auf Form, Aussehen, Struktur, Elastizität und Krumenbild und kamen zu einem einstimmigen Ergebnis: Bestnote. "Da freut man sich schon drüber", sagt Wiljo Klein in nüchternem Ton.
Das Rezept für den perfekten Stollen stammt noch von seinem Urgroßvater, der 1902 die Bäckerei an der Rheinfährstraße in Uedesheim eröffnete. Aus dieser Zeit stammt auch der kleine gelbliche Zettel. Lesen kann Klein nicht, was sein Ur-Opa ihm mit auf den Weg gegeben hat: Das Rezept ist handschriftlich und in Sütterlin-Schrift verfasst. "Ich müsste zu meiner Tante gehen, die könnte mir das vorlesen", sagt Klein mit einem Lachen im Gesicht. Doch nötig ist das nicht mehr. Schon sein Vater hat das Rezept in die heutige Schrift übertragen.
Auf dem Zettel ist vermerkt, was bis heute einen guten Christstollen ausmacht: Butter, Hefe, Weizenmehl, Zucker, Marzipan, australische Sultamine, Rum und diverse Gewürze. Die genaue Zusammensetzung aller Komponenten ist natürlich geheim, nur eines lässt sich Wiljo Klein entlocken: "Das Entscheidende sind die Zutaten." Das verdeutlicht er am Beispiel der Sultaninen: Diese seien zwar viermal so teuer wie herkömmliche Rosinen, dafür aber auch deutlich größer. Sie können das Aroma der übrigen Zutaten auch besser annehmen.
So viel Liebe zum Backwerk schlägt sich natürlich im Preis nieder. 21 Euro kostet ein Kilogramm von Kleins prämiertem Christstollen, dennoch kann er sich über mangelnde Kundennachfrage nicht beschweren. "Für 3, 99 Euro wie im Supermarkt ist so etwas halt nicht zu machen", sagt Kleins Ehefrau Anke. Sogar aus Mönchengladbach, Krefeld oder Aachen kommen Kunden nach Uedesheim, um in den Genuss von Kleins Backkunst zu kommen.
Auch sonst kommen Anhänger der traditionellen Weihnachtsbäckerei bei Klein auf ihre Kosten: Spekulatius, Florentiner, Mandelkonfekt, Printen, Baumkuchen und andere Leckereien türmen sich seit Tagen in den Regalen. Für Klein ist die Weihnachtszeit so etwas wie Hochsaison im Hotelgewerbe, "dann ist am meisten los." Sogar an Heiligabend steht er in der Backstube, wenn auch nur bis mittags.
Wiljo Klein selbst isst seinen Stollen zwar gerne, gibt im Zweifel aber lieber anderem Weihnachtsgebäck den Vorzug: "Finnische Nussstäbchen esse ich am liebsten. Richtig viel Nüsse und ordentlich Zimt: Das ist für mich das Beste."