Die Erftengel sind unterwegs
Schülerinnen der Gesamtschule an der Erft besuchen einmal pro Woche ein Seniorenwohnheim.
Neuss. Die ersten Sprichwörter kommen wie aus der Pistole geschossen. Morgenstund hat Gold im Mund, Alle guten Dinge sind drei, Mit Speck fängt man Mäuse. Alles kein Problem für die rüstigen Damen am Tisch. Doch jetzt hakt’s. Luisa wiederholt die beiden Anfangsworte noch einmal. "Einbildung ist...". Die Senioren blicken grübelnd in die Runde, als sich vom Nachbartisch ungefragt, aber energisch eine ältere Dame einmischt: "Einbildung ist auch eine Bildung." Korrekt. "Sehr gut. Klappt doch", sagt Luisa erleichtert.
Luisa ist ein Engel. Genauer gesagt ein Erftengel. So heißt die Gruppe der Schülerinnen der Gesamtschule an der Erft, die einmal pro Woche das Altenkrankenheim Heinrich-Grüber-Haus in Weckhoven besuchen, um sich eine Stunde lang mit den Bewohnern zu beschäftigen. Luisa ist 15, gemeinsam mit ihrer Mitschülerin Verena (16) besucht die Neuntklässlerin jeden Mittwoch Nachmittag die Damen im vierten Stock des Gebäudes. Freiwillig.
"Es macht mir Spaß, mit den älteren Menschen zusammen zu sein. Ich hab dabei ein gutes Gefühl", sagt Luisa. Bei ihren Besuchen spielen sie mit den Heimbewohnern Gesellschaftsspiele, gehen spazieren oder unterhalten sich nur mit ihnen. Um das Gedächtnis der Bewohner zu schulen, machen sie zudem Gedächtnistraining.
Die Seniorinnen haben an den wöchentlichen Besuchen ihre Freude. "Ich freue mich jede Woche auf den Besuch. Ich höre gerne zu, wenn sie erzählen, was sie erlebt haben oder wie sie sich fühlen", sagt eine von ihnen. Auch ihre Nachbarin kommt zu einem durchweg positiven Urteil: "Ich glaub bestimmt, dass aus den Mädchen mal was wird."
Für Annegret Reddig, die Leiterin des sozialen Dienstes, ist das Engagement der Erftengel eine große Hilfe. Die Mädchen erledigten fast alles völlig selbstständig, auch wenn ihnen eine hauptamtliche Kraft an die Seite gestellt werde. "Die Mädchen übernehmen zwar nicht die Pflege, aber die Betreuung ist genauso wichtig. Sie bringen Freude und Lebensqualität", sagt Reddig. Ihre Beobachtung ist, dass sich zwischen den Heimbewohnern und den Mädchen eine persönliche Beziehung entwickelt habe. "Zwar sind rund 90 Prozent unserer Bewohner demenzkrank, aber irgendwie spüren und wissen sie, wer sie besuchen kommt."
Angst, in dieser Zeit etwas zu verpassen, hat Luisa nicht. "Meine Freunde sind ja auch alle dabei." Nur ihre männlichen Mitschüler haben Luisa und Verena noch nicht vom Sinn der Aktion überzeugen können: Alle elf derzeitigen Erftengel sind Mädchen. "Die trauen sich nicht", sagt Luisa mit einem Lachen im Gesicht.