Die Bundesregierung hortet 8000 Tonnen Weizen in Neuss
Sollte nach einer Naturkatastrophe oder einem Anschlag eine Hungersnot ausbrechen, könnte auch auf Reserven aus Neuss zurückgegriffen werden. Deren Wert: 1,6 Millionen Euro.
Neuss. Es ist still vor diesen beiden Hallen im Neusser Hafen. Höchstens Lkw, die Dinkel oder anderes Getreide anliefern, rollen in gemächlichem Tempo über den Asphalt vorbei. Was sich hinter den unauffälligen, stets abgeschlossenen Türen verbirgt, wissen jedoch nur die wenigsten Neusser.
Rund 8000 Tonnen Weizen im Wert von rund 1,6 Millionen Euro werden dort gelagert — im Auftrag der Bundesrepublik. Die Körner bilden einen vier Meter hohen Teppich, den man nur auf einem schmalen Laufsteg aus Holzlatten betreten kann. Zwischen den Balken sind die Körner zu akkuraten Linien gehakt.
Gedacht sind die Vorräte für Krisenzeiten, also für Seuchen, Naturkatastrophen, Streiks oder terroristische Anschläge. Sie sollen gewährleisten, dass die Bevölkerung im Ernstfall, zumindest kurzfristig mit Mehl und Brot versorgt werden kann. Damit diese Notvorräte nicht in Gefahr gebracht werden können — etwa durch Vergiftung —, müssen ihre genauen Standorte geheim bleiben. Mehr als 100 Hallen, in denen nicht nur Weizen, sondern auch Hafer und Roggen gelagert wird, existieren deutschlandweit.
Für kurze Transportwege im Krisenfall befinden sich jene Vorräte stets in der Nähe industrieller Getreidemühlen. Für Einkauf und Austausch des Getreides ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) verantwortlich — eine Bundesoberbehörde des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
In Neuss werden die Vorräte von der Fortin Mühlenwerke GmbH & Co. KG, dem größten Haferflockenhersteller in Europa, verwaltet. Für das Unternehmen ist der Deal mit dem Bund eine recht entspannte Angelegenheit. „Es ist für uns kein Jahrhundertgeschäft. Aber wir haben mit dem Bund einen sicheren Partner. Wenn wir die Hallen anderweitig vermieten, haben wir wegen der An- und Ablieferung zudem mehr Betrieb auf dem Hof“, sagt Herbert Hilgers, Prokurist für die Fortin-Mühlenwerke und verantwortlich für die Umschlagbetriebe im Neusser Hafen.
Zwei der insgesamt acht Fortin-Mitarbeiter in Neuss sind neben ihrer Haupttätigkeit mit der „Pflege“ der Weizenkörner beauftragt. Dazu gehört nicht nur das Messen von Luftfeuchtigkeit und Temperatur — allein in der größeren Halle mit 5000 Tonnen Weizen gibt es 198 Messstellen—, sondern auch die Kontrolle der sogenannten Käferhügel.
Das sind Fallen, die hoch oben auf dem Getreideteppich stehen. Sobald Käfer in den Hügeln entdeckt werden, werden die vielen Körner mit Phosphorwasserstoff begast. „Das muss mindestens über einen Zeitraum von zwei Wochen passieren, sonst schlüpft die Brut, wenn die Tiere Eier gelegt haben“, sagt Hilgers.
Für Mäuse wurde ein Streifen aus Quarzsand ausgelegt, auf dem auch die allerkleinsten Spuren der Tiere zu sehen sind. Schließlich wäre so ein Weizenlager für Mäuse ein regelrechtes Schlaraffenland.
Der Zustand des Lagers — also Sauberkeit, bauliche Mängel, Gesunderhaltung der Ware — wird alle vier bis sechs Wochen unangekündigt durch Beauftragte des BLE kontrolliert. Nach etwa zehn Jahren Lagerdauer müssen die 8000 Tonnen Getreidevorräte über öffentliche Ausschreibungen verkauft und durch frisches Getreide ersetzt werden. Für Händler sind die eingelagerten Not-Körner besonders attraktiv — weil es auf dem Markt nur selten eine so gute Qualität in so großen Mengen gibt, die zudem so streng kontrolliert wird.