Die Kaarster Welten-Wanderin

Unser Autor hat die 45 Jahre alte Oboistin Gisela Hellrung aus Kaarst einen Tag lang begleitet.

Foto: Susanne Diesner

Kaarst/Düsseldorf. Es ist Freitag, der Wecker klingelt bei den Hellrungs in Kaarst um 5.45 Uhr. „Zur ersten Weckrunde“, wie Gisela Hellrung sagt. Denn geweckt werden gleich sechs Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren — und das kann gerade bei den Jüngeren dauern. Um spätestens 7.20 Uhr sind alle durch die Tür. Kinder raus, Ruhe rein — ohne Zeit für eine Pause zu haben. Es folgt die „Putzrunde“, wie Gisela Hellrung das große Aufräumen in ihrem Haus in Kaarst nennt. Gisela Hellrung ist eine Wanderin zwischen den Welten. Denn seit 1996 hat die 45-Jährige eine feste Anstellung bei den Düsseldorfer Symphonikern, als Solo-Oboistin des Ensembles ist sie auch für all jene Teile eines Stückes zuständig, bei denen die Oboe besonders in den Vordergrund tritt.

Gisela Hellrung, Oboistin

Mit dem Auto geht es zur Arbeit, viermal in der Woche fährt Hellrung gewöhnlich zur Probe. Dazu kommen Vor- und Nachbereitungen und stundenlanges Üben zu Hause. 250 Auftritte haben die Symphoniker im Jahr, sie spielen in der Tonhalle und für die Deutsche Oper am Rhein. Wer eingeteilt ist, regelt ein verpflichtender Dienstplan. Wie im Büro eben.

Es ist 9.30 Uhr, heute steht die Generalprobe in der Tonhalle an. Durch den Künstlereingang am Rheinufer führt der Weg ins Stimmzimmer. Immer früh, wenn möglich. „Da habe ich Zeit für mich“, sagt Hellrung. Nur sie und das Instrument, bis die Kollegen kommen. Auf dem Programm stehen Ravels „Bolero“ und drei weitere Stücke. Heute Abend ist große Premiere, seit einer Woche wird gemeinsam geprobt. Auf der Bühne beginnt das Gedränge. „Mittendrin ist es am schönsten. Nirgendwo sonst spürt man diese Energie, diese Schwingungen“, schwärmt Gisela Hellrung.

12.30 Uhr. Das Ende der Probe bedeutet für die Kaarsterin den Beginn des „ganz alltäglichen Wahnsinns“, wie sie sagt. Ganz gleich, was gerade auch war, ob ein Stück nicht so recht gelingen wollte oder das Instrument Kopfzerbrechen bereitet: „Die Kinder holen einen ganz schnell auf den Boden zurück“, sagt Hellrung.

In der Küche kocht heute der Solo-Hornist des Kölner Gürzenich-Orchesters. Ehemann Egon Hellrung ist ebenfalls Berufsmusiker. Daheim wird genauso über die Arbeit gesprochen wie bei allen anderen auch. Mit dem Unterschied, dass beide ein eigenes Probezimmer haben. Er im schallgedämpften Raum, sie mit Blick auf den Garten. Abends fängt sie an zu schnitzen. Noch so eine Besonderheit: Das „Röhrchen“ des Mundstücks fertigen Profi-Oboisten selbst an. „Das mache ich schon seit dem Studium wahnsinnig gerne“, sagt Hellrung. Es ist wieder einer der Momente, den sie für sich hat — und er wirkt fast wie Meditation.

Um 18 Uhr geht es zurück zur Tonhalle, letzte Vorbereitungen vor dem Auftritt. Wieder ist Hellrung früh da. Bevor die Kollegen kommen, ihre Instrumente stimmen und sich umziehen. Die Frauen tragen Schwarz und lange Ärmel, die Männer Frack.

Kurz vor 20 Uhr, der Konzertsaal ist voller Menschen. Als der „Bolero“ leise einsetzt, kann sie einen überkommen, diese Tonhalle. Was für ein Arbeitsplatz.