Europawahl 2019 in Neuss SPD legt eine Rekordpleite hin
Neuss. · Die Sozialdemokraten fahren schlechtestes Ergebnis seit 1949 ein.
Jede zehnte bei der Europawahl in Neuss abgegebene Stimme ging an eine der Kleinstparteien, die in Statistiken unter „Sonstige“ aufaddiert werden. Für Charlotte Hohn vom Am für Wirtschaftsförderung, die noch in der Wahlnacht die Neusser Ergebnisse analysiert hat, ist das Ausdruck einer Protestwahl. „Viele Neusser hadern mit den großen Parteien“, sagt sie.
Besonders deutlich haben das SPD und CDU gespürt, die auch in Neuss hohe Stimmenverluste hinnehmen mussten. Die SPD fuhr mit 16,3 Prozent (minus 12,1) der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik ein. Die CDU, die auf 30,9 Prozent (minus 9,2) kam, schnitt nur einmal in den vergangenen 70 Jahren noch schlechter ab als am Sonntag – und zwar 2012, als sie mit 30,1 Prozent der Stimmen das Landtagsdirektmandat an die SPD verlor.
Reiner Breuer will „scharfen
Schnitt auf Bundesebene“
Wahlgewinner auch in Neuss waren die Grünen, die sich gegenüber der Europawahl im Jahr 2014 um 13 auf 22,7 Prozent verbesserten. Sie waren die einzige Partei, die am Montag unter der Überschrift „Grünes Licht für Neuss“ von sich aus ein Statement veröffentlichte. Tenor: Eine Überraschung – aber auch ein Indiz für gute Arbeit. „Die klare Haltung der Grünen insbesondere zum Klimaschutz und den Werten unserer Demokratie ist mit diesem Ergebnis belohnt worden“, erklärt Parteisprecherin Susanne Benary. Für die SPD hatte noch am Wahlabend der Parteivorsitzende Sascha Karbowiak enttäuscht Dampf abgelassen. Unter der Überschrift „Berlin, wir müssen reden“, fordert er den Ausstieg aus der Regierungskoalition im Bund und einen personellen Neuanfang. Als SPD-Mitglied unterstützt Bürgermeister Reiner Breuer das ausdrücklich. Er plädiert für einen „scharfen Schnitt auf Bundesebene“ und fordert in den Gremien der Bundes-SPD lokaler Kompetenz mehr Gewicht zu geben. Als Bürgermeister merkt Breuer zur Wahl nur an: Die Parteien müssten ihre Konsequenzen ziehen, er selbst sehe sich darin bestätigt, bei der Umwelt- und Klimaschutzpolitik, der er sich schon vor der Wahl widmete, „noch stärker tätig zu werden.“
Das Ergebnis weist für Andreas Galland keine Neuss-Spezifika auf. CDU und SPD liegen trotz der Verluste besser als der Bundesschnitt ihrer Partei, AfD (8,3 Prozent) und Linke (3,8 Prozent) leicht darunter. Die FDP freut sich, mit 7,6 Prozent etwas besser als die Liberalen im Bund abgeschnitten zu haben.
Die AfD entsendet mit Gunnar Beck den einzigen Europaabgeordneten mit Wohnsitz Neuss. Über die Bundeslisten ihrer Partei gewählt wurden Stefan Berger (CDU), Petra Kammerevert (SPD) und Moritz Körner (FDP), die in Neuss kandidierten.
Mit 59,1 Prozent war die Wahlbeteiligung bei der jüngsten Eurowahl so hoch wie zuletzt im Jahr 1994. Doch die 64 168 gültigen Stimmen verteilten sich auch regional sehr unterschiedlich auf die Parteien. Die CDU blieb in 25 von 29 Kommunalwahlbezirken die stärkste Partei. Hochburgen waren wie immer Hoisten, Grefrath, Uedesheim und Erfttal – wo die AfD auf 13,2 Prozent kam. Die größten Verluste erlitt die Union in Derikum, am schlechtesten schnitt sie auf der südlichen Furth ab. Die SPD lag in keinem Wahlkreis vorne und kam nur in beiden Wahlbezirken Weckhovens und auf der Neusser Furth über 20 Prozent. Die Grünen legten in allen Wahlbezirken zu, in 25 Fällen sogar zweistellig – und waren in den Bezirken Dreikönigenviertel, Allerheiligen, Hermannsplatz und Neusser Furth stärkste Kraft.