Hoch zu Ross über die gesperrte Kaarster Straße
Anwohner und Passanten genießen die ungewohnte Ruhe ohne Verkehrslärm.
Nordstadt. Die Szenerie ist ungewohnt, beinahe gespenstisch. So wenig Betrieb herrschte auf der Kaarster Straße in den vergangenen 50 Jahren allenfalls bei Endspielen der Fußball-WM oder während der Ölkrise. An normalen Tagen sind hier durchschnittlich 10 000 Fahrzeuge unterwegs. Bereits hinter dem ersten Hinweis an der Kreuzung Viersener Straße wird der Verkehr deutlich ruhiger; nach der Absperrung in Höhe der Straße Brücke sind nur noch vereinzelt Fahrzeuge unterwegs. Ein Sackgassen-Schild macht deutlich, warum das so ist: Noch bis zum Wochenende ist die Kaarster Straße, die Hauptverkehrsader zwischen Kaarst und den nördlichen Stadtteilen von Neuss, abgebunden, die Durchfahrt unter der Autobahnbrücke gesperrt. Paradiesische Zustände für die Anwohner?
Zwei, denen die Sperrung gar nicht lange genug dauern kann, sind Anna-Lena Krüll und ihre Stute „Sazue“. Sobald sie abends von der Arbeit kommt, geht es für die 23-Jährige zum nur wenige hundert Meter entfernten Reiterhof an der Kaarster Straße, wo sie das gutmütige Tier sattelt — und dann genießen beide den gemächlichen Ritt über die verkehrsberuhigte Fahrbahn der Kaarster Straße bis zu Krülls Elternhaus an der Straße Am Stock. „Da kann Sazue in unserem Garten grasen“, sagt die junge Frau über die 26-jährige Stute, die sie seit zehn Jahren reitet.
Auch Konstantin Konstantinidis, dessen Garten an die Kaarster Straße grenzt, könnte sich an die fehlende Geräuschkulisse gewöhnen. „Es ist deutlich ruhiger als sonst“, bestätigt der Anwohner. „Ich fänd’s super, wenn das so bleibt.“ Derzeit sitzt er abends besonders gern auf der Terrasse.
Ein wenig lästig ist Dirk Rothe die mit der Baustelle verbundene Sperrung. „Um nach Kaarst zu kommen, müssen wir jetzt immer einmal um den Pudding herumfahren“, sagt der 49-jährige Garten- und Landschaftsbauer. Er nimmt den Umweg über die Viersener Straße, um seine Kunden jenseits der Autobahn zu erreichen. „Das ist nicht besonders bequem, muss aber nun mal sein“, fügt er sich ins Unabänderliche. Sich über die Baustelle zu ärgern, sei müßig. „Und die Jungs, die da arbeiten, sind total nett“, ergänzt er.
Ebenfalls „einen großen Bogen“ fahren Karin und Kurt-Dieter Fleischer, um in Kaarster Geschäften und auf dem Wochenmarkt Lebensmittel einzukaufen. Zuweilen sei auf den Ausweichrouten viel los, vor allem im Berufsverkehr.
Wie zentral die Verkehrsanbindung über Kaarst ist, fällt auch Klaus-Dieter Braun in diesen Tagen besonders auf. Aber da die Sperrung nur wenig mehr als eine Woche andauert, nimmt er das gelassen in kauf. Vom Verkehrslärm an der Kaarster Straße bekomme er gewöhnlich wenig mit, da seine Wohnung zur anderen Seite hinaus liegt. „Was mich mehr stört, sind die Flugzeuge“, sagt er. „Ich darf gar nicht daran denken, dass die Frequenz demnächst noch erhöht werden könnte.“
Dass seit einigen Tagen weniger Verkehr auf der Kaarster Straße herrscht, hat auch Isabella Unglaube registriert. „Die Ruhe ist schön“, sagt sie. Allerdings werde die Sackgasse, in der die Familie wohnt, stärker als sonst üblich von Fahrzeugen frequentiert, um zu wenden. „Das sind Autofahrer, die die Verkehrsschilder nicht richtig lesen“, vermutet die Neusserin, „oder ihnen nicht glauben.“