Ist das Familiengericht überlastet?

Mehrere Anwälte und Väter erheben Vorwürfe gegen das Neusser Jugendamt und das Familiengericht.

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Neuss. Der Mann ist mit den Nerven am Ende. „Ich möchte einen geregelten Umgang zu meinen zwei Kindern“, sagt der 47-Jährige. „Aber es passiert nichts. Das Neusser Jugendamt gibt nur ein Gutachten nach dem nächsten in Auftrag, und das Familiengericht will keinen Beschluss fassen.“ Vor sechs Jahren habe er sich von der Mutter seiner Kinder getrennt. Seit drei Jahren versuche er mit Hilfe eines Anwalts und über das Familiengericht, seine Kinder regelmäßig zu sehen. Bislang erfolglos.

Auch sein Rechtsanwalt (der mit Rücksicht auf die Kinder nicht genannt werden will) kann nur den Kopf schütteln. „Das Gericht ist offensichtlich überlastet“, sagt der Neusser. Die Regelung einfacher Umgangsrechte dauere häufig mehrere Monate und damit viel zu lang. „Der Beschleunigungsgrundsatz in Kindrechtssachen wird nicht beachtet“, ärgert sich der Anwalt. „Selbst einfache, einvernehmliche Scheidungen dauern in Neuss teilweise mehr als ein Jahr.“

Dass der 47-Jährige kein Einzelfall ist, bestätigt Annemarie Effertz vom Vorstand des Neusser Anwaltsvereins. „Kollegen beschweren sich regelmäßig, dass vor allem Kindrechtssachen sehr lange dauern — sowohl am Neusser Familiengericht als auch beim Jugendamt. Insbesondere einen begleiteten Umgang zu regeln, ist ganz schwer.“

Erst kürzlich habe ihr ein anderer Kollege von einem Verfahren berichtet, das seit anderthalb Jahren laufe. „Der Vater ist schon ganz verzweifelt, weil er seine Kinder in dieser Zeit nur zwei Mal gesehen hat, obwohl ein Gutachter schon bescheinigt hat, dass einem Umgang nichts im Wege stehe.“ Beschleunigte Verfahren von zwei Wochen gebe es so gut wie gar nicht. „Man muss in Neuss mindestens drei oder vier Monate einplanen.“

Das Landgericht, die übergeordnete Behörde des Neusser Familiengerichts, weist die Vorwürfe zurück. Alle Stellen seien mittlerweile wieder besetzt. „Und uns ist kein Verfahren bekannt, das unvertretbar lang dauert“, teilt Sprecherin Elisabeth Stöve mit. 2014 habe die durchschnittliche Verfahrensdauer (ohne Ehesachen) laut Computer 2,3 Monate betragen. „82 Prozent der Fälle wurden sogar in bis zu drei Monaten komplett abgeschlossen.“ Wenn aber Parteien neue Anträge einreichten, würden auch neue Verfahren eröffnet.

Auch das Neusser Jugendamt sieht sich zu unrecht in der Kritik. „Wir hören solche Vorwürfe zwar regelmäßig“, sagt Jugenddezernent Stefan Hahn. „Aber Umgangsrechte sind eine sehr komplexe Rechtsmaterie. Deshalb wägen alle Beteiligten sehr vorsichtig ab.“ Eltern interpretierten die Bedürfnisse des Kindes oft unterschiedlich. „Und Rechtsanwälte sind natürlich auf der Seite ihrer Mandanten. Das Jugendamt hingegen hat ausschließlich das Wohl des Kindes im Auge.“ Es gebe zwar immer mal wieder Fluktuationen, berichtet Hahn. „Wir haben jedoch die Einarbeitungszeit neuer Mitarbeiter seit einiger Zeit verlängert, so dass wir mit qualifiziertem Personal gut aufgestellt sind.“

Annemarie Effertz sieht dagegen insbesondere das Familiengericht in der Pflicht: „Die neuen Richter trauen sich oft nicht, eine Entscheidung zu treffen, und ziehen lieber einmal mehr das Jugendamt oder einen weiteren Gutachter heran.“