Kaarst: Erlebnisse aus dem Kriegsalltag
Geschichte: Wolfgang Wietzker hat ein Buch mit Erinnerungen von Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges herausgegeben.
Kaarst. Berichte von Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs gibt es viele. Alles scheint bereits niedergeschrieben zu sein. Und doch lässt Wolfgang Wietzker jetzt in einem Buch Kaarster, Düsseldorfer oder Neusser, die gegen Kriegsende um die 18 Jahre alt waren, zu Wort kommen.
"Weil sich die Geschichtsbücher vor allem auf Politisches oder Militärisches konzentrieren, Subjektives, was die Menschen in ihrem Alltag erlebt haben, dabei aber oft zu kurz kommt", sagt der Historiker zu seiner Motivation.
Wietzker hat bewusst keine Fragen gestellt, sondern die Menschen reden und dabei ein Tonband mitlaufen lassen. "Häufig hieß es: Ich habe doch gar nichts zu erzählen. Doch ein kleiner Anstoß genügte und es sprudelte nur so aus ihnen heraus", erzählt der Kaarster.
So sind die Erinnerungen von insgesamt 83 Zeitzeugen - davon 50 Männer - zusammengekommen, die von Hunger oder Flucht, von der Schulzeit oder der ersten Liebe, von Tod, Kameradschaft oder dem Einsatz an der Front in den letzten Kriegstagen handeln. "Kriegsalltag", heißt das im Helios-Verlag erschienene Buch.
"Die Erzählungen dieser Menschen fanden bisher keinen Eingang in die Geschichtsbücher, weil sie noch nie befragt wurden", berichtet der 69-Jährige. Wietzker hat die Schilderungen sprachlich wie inhaltlich so belassen, wie sie ihm mitgeteilt wurden, auch wenn historische Unstimmigkeiten auftraten.
"Nur die zeitlichen Abläufe habe ich in Abstimmung mit meinen Gesprächspartnern chronologisch geordnet. Es ist aber auf jeden Fall kein wissenschaftlich fundiertes, sondern in erster Linie ein authentisches Buch."
Es sind zum Teil Berichte von Begebenheiten, denen bislang wenig oder gar keine Beachtung geschenkt worden sei, betont der ehemalige Berufsoffizier: "Etwa von Einquartierungen der Soldaten in Höfen der Umgebung, von erlittenen Kriegsverletzungen oder erzwungenen Reisen quer durch Europa, wenn die Soldaten plötzlich versetzt wurden."
Drei Jahre wollte sich Wietzker für seine Dokumentation Zeit nehmen, doch die Protagonisten seines Buchs hätten ihm Druck gemacht. "Sie wollten das Buch ja auch lesen und einige sind schon sehr betagt." So arbeitete der Historiker noch intensiver als ursprünglich geplant und war nach etwas mehr als einem Jahr bereits fertig.
Erinnerungen können trügen und daher sind die Zeitzeugen-Berichte immer dann besonders wertvoll, wenn noch Schriftliches aus dieser Zeit vorlag. Heinz Jessen zum Beispiel hat in Kriegsgefangenschaft Tagebuch geführt.
"Die Aufzeichnungen handelten vor allem von zwei Dingen: vom Essen und vom Wetter. Ich habe aber auch gemerkt, dass Erinnerungen zurückkommen, wenn man gezielt danach gefragt wird", sagt der Neusser.
Guido Paganetti wiederum hat damals viel Briefe geschrieben und diese nach Ende des Krieges auf eignen Wunsch - zu Archivzwecken - zurückerhalten. "Davon habe ich jetzt natürlich profitiert, und konnte zum Beispiel minutiös von einem Fliegerangriff auf Freiburg berichten."
Wolfgang Wietzker gibt zu bedenken, dass die Anzahl derer, die von ihren Kriegserlebnissen berichten konnten oder wollten, im Vergleich verschwindend gering gewesen sei. "Die große Masse kann es aus Altersgründen nicht mehr. Und es werden in Zukunft auch nicht mehr."