Kaarst: Ganz normales Leben lernen
Behindertenhilfe feiert Richtfest für ein Wohnhaus für 24 Suchtkranke.
Kaarst. Einkaufen, ins Kino gehen oder es sich in den eigenen vier Wänden vor dem Fernseher gemütlich machen - das sind Aktivitäten, die für viele Menschen zum Alltag gehören. Die künftigen Bewohner des neuen Gebäudekomplexes an der Heinrich-Lübke-Straße müssen diese Normalität erst erlernen. 24 Menschen, die meisten von ihnen Alkoholkranke, will die St.-Augustinus-Behindertenhilfe ab dem nächsten Sommer dabei helfen. Am Freitag wurde im Rohbau Richtfest gefeiert.
16 Suchtkranken bietet die stationäre Wohneinrichtung St. Matthias die Möglichkeit, sich wieder ins normale Leben zu integrieren. In dem behindertengerecht konzipierten Mietshaus nebenan werden acht Patienten ein neues Zuhause finden. Dies ist eine ambulante Einrichtung, ohne 24-Stunden-Betreuung.
"Die Idee dahinter ist: Weg von der Institution hin zur Normalität." In einer Nachbarschaft anstatt in einer Spezialeinrichtung zu leben, ist für die Bewohner eine große Chance. "Es geht um Menschlichkeit", sagt Stephan Könen, stellvertretender Einrichtungsleiter des Wohnverbunds St.Alexius.
Um sich wie daheim zu fühlen, darf jeder Bewohner entscheiden, wie er sein Zimmer ausstatten möchte. So braucht Manfred Voss kein Telefon, auf einen Fernseher möchte er aber ebenso wenig wie sein künftiger Mitbewohner Friedrich Goetz verzichten. Beide kommen, ebenso wie die restlichen Bewohner des Gebäudekomplexes, aus dem Wohnverbund St.Alexius, und für alle ist der Umzug ein großer Schritt nach vorn. Helfen sollen ihnen tagesstrukturierende Maßnahmen. "Sie geben einen festen Rahmen, der wiederum für Verbindlichkeit steht", erzählt Thilo Spychalski, der Geschäftsführer der St.-Augustinus-Kliniken.
Langsam sollen die Patienten auch an das Arbeitsleben herangeführt werden. Ob Verpackungstätigkeiten oder leichte Montagevorarbeiten - Friedrich Goetz gefällt die Aktivität. "Es ist wichtig, dass man eine Struktur im Alltag hat. Wir produzieren etwas, das gebraucht wird. Das schönste Gefühl dabei ist aber, dass man selbst gebraucht wird", erklärt Goetz und lächelt, während Manfred Voss zustimmend nickt.
Ein Leben in normaler Nachbarschaft sei für eine Integration in die Gesellschaft und die Gestaltung eines suchtfreien Lebens notwendig, sagt Thilo Spychalski. Doch das Wohn- und Mietshaus, dessen Baukosten 2,1 Millionen Euro betragen, mitten im Wohngebiet stieß noch bis vor kurzem bei vielen Anwohnern auf Angst und Unverständnis. Inzwischen sei die Skepsis bei der Mehrheit jedoch verflogen, betont Spychalski. "Die Patienten sind liebe Menschen, die sich integrieren und alles tun wollen, um eine gute Nachbarschaft zu pflegen."