Missbrauch: Leitfaden stärkt Lehrer
Auf 15 Seiten finden Pädagogen praxisnahe Ratschläge, wie sie sich in Verdachtsfällen verhalten sollen.
Neuss. Ein Schulleiter redet seit längerer Zeit mit einer Schülerin in Einzelgesprächen über deren Familienprobleme. Andere Lehrer werden — auch nach Hinweisen — von ihm nicht einbezogen. Die Schülerin fällt zunehmend auf, der Verdacht des sexuellen Missbrauchs gegen den Schulleiter macht im Lehrerkollegium die Runde.
Mit einem ähnlich gelagerten Fall mussten sich vor einigen Jahren Brunhilde Schoel, Viola Meurer-Blasius und Annegret Schulte beschäftigen. „Wir haben uns bei dem Fall kennengelernt und nach konkreten Handlungsanweisungen im Internet gesucht“, sagt Schulte, damals Schulamtsdirektorin für den Rhein-Kreis Neuss. Wie sollen sich die Lehrer in diesem Fall verhalten? Was sind ihre Rechte und Pflichten? Auf diese Fragen rund um das Thema „Sexueller Missbrauch im schulischen Umfeld“ gibt es jetzt einen Leitfaden, der im Rhein-Kreis Neuss entstanden ist.
Denn die Suche der drei Frauen nach Handlungsanweisungen war vergeblich. „Wir wollten kein fachliches Grundlagenwissen, wir wollten Handlungshilfen. Deshalb haben wir gesagt, wenn es das nicht gibt, schreiben wir es selbst“, sagt Meurer-Blasius, Psychologin an der Ambulanz für Kinderschutz am Lukaskrankenhaus.
Praktische Handlungsanweisungen können im Umgang mit sexuellem Missbrauch wichtig werden: „Aus Unwissenheit missachten Lehrer ihre Pflichten, vor Gericht ist ihre gut gemeinte Arbeit dann nicht verwertbar“, sagt Schoel, Juristin bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Im Extremfall kann ein Täter deswegen nicht bestraft werden. Auch die Lehrer können Probleme bekommen: Wenn sie sich direkt an das Jugendamt wenden, verstoßen sie gegen ihre Verschwiegenheitspflicht und können ein Disziplinarverfahren bekommen.
„Keine Selbstrecherchen“, oder „Schulleitung und Schulaufsicht informieren“ sind Anweisungen aus dem Leitfaden: „Er schützt und stärkt Lehrer, die sich engagieren wollen“, sagt Schulte.
Über zwei Jahre lang haben die drei Frauen, teils ehrenamtlich, an dem 15-seitigen Papier geschrieben. Der Leitfaden mit seiner psychologischen, pädagogischen und juristischen Expertise soll den Alltag der Lehrer vereinfachen: „Wir hoffen, dass diskutiert wird und ein Klima entsteht, in dem Grenzverletzungen und Verdachtsfälle angesprochen werden können“, sagt Meurer-Blasius. Eigentlich nur für den Rhein-Kreis Neuss erarbeitet, wird die Orientierungshilfe jetzt im gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf verbreitet.