Neuss: 300 Kinder nicht in der Familie
Der erste Bericht der Jugendhilfe liegt vor. Künftig soll er alle zwei Jahre zu einen Schwerpunktthema erstellt werden.
Neuss. Der Anruf vor zwei Tagen wurde wie alle Hinweise dieser Art ernst genommen - auch, wenn sie wie in diesem Fall anonym vorgebracht werden. "Kindeswohlgefährdung" heißt das im Amtsjargon: Da wird das Jugendamt sofort aktiv. Eine erfahrene Mitarbeiterin schellte so auch am Dienstag bei der fraglichen Adresse in Neuss. Doch das Kind war wohlauf, gesund und kein bisschen verwahrlost. Die Großmutter hatte sich, nach heftigem Streit mit ihrer Tochter, einen üblen Scherz geleistet.
Nicht immer geht die Angelegenheit so gut aus. Jugendamtsleiter Achim Tilmes bestätigt, dass auch in Neuss gefährdete Kinder aus ihren Familien herausgeholt wurden und werden. "Wir haben schon ganz drastische Fälle von Verwahrlosung erlebt", sagt Tilmes, und Jugenddezernent Peter Söhngen ergänzt: "Auch Neuss ist keine Insel der Seligen." Etwa 100 Kinder wurden im vergangenen Jahr von ihren Eltern getrennt: nicht nur wegen Kindeswohlgefährdung, sondern auch nach Scheidungen oder weil ein Jugendlicher selbst darum gebeten hat.
Auf die Aufnahme dieser Jungen und Mädchen sind in Neuss so genannte Bereitschaftsfamilien vorbereitet. Tag und Nacht müssen sie damit rechnen, dass ihnen Kinder in Not für eine Übergangszeit zugewiesen werden. Möglichst vermieden wird die teure Heimunterbringung. "Aber wir mussten Kinder auch schon ins Krankenhaus bringen", so Söhngen. Das Jugendamt ist, um helfen zu können, auf Hinweise angewiesen - ob aus Kindergärten oder Schulen, von Ärzten oder Nachbarn. "Und da steht dann Datenschutz hinter Kindeswohl", erklärt Söhngen. Etwa 300 Kinder und Jugendlich sind derzeit nicht im Elternhaus, sondern in Bereitschafts- oder Pflegefamilien oder in Heimen untergebracht.
Diese krassen Fälle machen einen wichtigen, aber doch nur einen kleinen Teil der Arbeit des Neusser Jugendamtes aus. Dazu zählte gerade in letzter Zeit als Schwerpunkt sicherlich die Umstrukturierung bei den Kindergärten wegen der zurückgehenden Zahl der Kinder und der Aufgabe von 50 Gruppen in katholischen Einrichtungen durch das Kölner Erzbistum. Von der Sprachförderung bis zur Spielplatzplanung, von Adoptionsvermittlung, Erziehungsberatung, offener Jugendarbeit bis zu Betreuungen und Drogenberatung reicht das Spektrum der Aufgaben.
Erstmals wurde jetzt ein Jugendhilfebericht vorgelegt; eine Übersicht über Struktur, Partner, Aufgabenstellung und Projekte. Künftig soll es einen solchen Bericht alle zwei Jahre geben, dann jeweils mit einem Schwerpunktthema.
Der Bericht kann unter der Telefonnummer 02131/90-5101 angefordert werden.