Neuss: Halsschlagader pocht sichtbar
Der Geschenkekauf auf den letzten Drücker geht an die Nerven – und das sieht man.
Neuss. Der Mann ist wütend. Er will einen Gutschein für seinen Enkel, jetzt sofort. Die Verkäuferin hört ihm zu. Mit stoischem Blick, während bei ihm die Schlagader am Hals nun deutlich sichtbar pocht. Ihre massigen Arme liegen locker auf dem Verkaufstresen der Kaufhof-Filiale im Hauptstraßenzug.
Der einzige Hinweis darauf, dass der lautstark schimpfende Kunde der Mitfünfzigerin auf die Nerven geht, sind die tiefen Falten auf ihrer Stirn, in denen sich ein paar Schweißperlen bilden. Es ist Weihnachtszeit und der Stress in den Geschäften programmiert.
Waltraud Loose vom Einzelhandelsverband hatte es geahnt. "Der Weihnachtseinkauf konzentriert sich noch einmal auf diese letzte Möglichkeit vor dem Fest." Das spüren auch die Beschäftigten - für viele gibt es Urlaubssperren. An der Niederstraße hat der empörte Mann gerade das Kaufhaus verlassen. Wenn es aufs Fest zugeht, wird die Stimmung der Kunden gereizt.
Als erfahrene Verkäuferin hat die Kaufhof-Angestellte ein einfaches Mittel gegen übel gelaunte Kunden: schimpfen lassen, zuhören, beruhigen. Locker bleiben. Sie legt die Stirn wieder in Falten und hebt die breiten Schultern. "Was soll man sonst machen?, sagt sie lapidar und lächelt den nächsten in der Schlange an.
Die Kunden, die gerade die Rolltreppe hinunter fahren, wissen noch nicht, dass sie später einen Koffer kaufen werden. Aber er ist so günstig. Also müssen sie ihn von nun an mit sich herumtragen, auch durch die anderen Stockwerke, in denen sie noch nicht waren.
In der Mayerschen Buchhandlung verschmelzen die Stimmen zu einem Brei, begleitet von piepsenden Kassen und ratternden Kassenbon-Druckern. Ganz vorne steht Katja Wersen. Seelenruhig sieht sie zu, wie die Verkäuferin Tesafilm von der Rolle zieht. Es quietscht. Bedächtig klebt die Verkäuferin es auf das Geschenkpapier. Katja Wersen grinst.
Die Innenstadt am Dienstag um 14 Uhr: Rushhour in der Hauptpost. Kunden hasten mit einem Schwall viel zu milder Winterluft zur Tür herein und verschwinden zwischen Menschenschlangen, die sich durch den Raum winden.
"Wer nur Briefmarken braucht, muss hier nicht anstehen, ruft ein Postmitarbeiter den Wartenden zu. Drei Männer scheren sofort aus einer der Reihen aus und stürzen sich auf den fast freien Schalter für Marken, als gäbe es dort etwas kostenlos.
Bei H&M schieben sich Menschen durch die Reihen. Viele sehen erschöpft aus und halten alle möglichen Dinge in der Hand: Unterhosen, Ledergürtel, Krawatten, T-Shirts, Pullover, Kleider, ganz egal, Hauptsache irgendwas ergattert.
In der Douglas-Filiale überlegt ein Mädchen mit Zahnspange, welches Parfüm ihrem Freund gefällt. Bogner Man oder Chanel Allure. Chanel gefällt ihr - ist aber zu teuer. Bei 30 Euro Preisunterschied wird Freund Simon ab Mittwoch nach Bogner duften.
Bei Heinemann mokiert sich eine Mutter über einen losen Knopf am Hilfiger-Mantel, Der sei bereits günstiger, antwortet die Verkäuferin freundlich, von 280 auf 230 Euro. Doch ohne Extrarabatt will ihn die Mutter nicht kaufen, erwidert sie. "Er soll für ihre Tochter sein", sagt sie gehetzt.