Neusser Rathaussturm: „Herrlich“ ist der Mann in Ketten
Entmachteter Bürgermeister überlässt der Novesia ohne Gegenwehr den Stadtschlüssel.
Neuss. Es konnte nichts schiefgehen. Zum einen wegen der Routine des langgedienten Stadtchefs, zum anderen dank der perfekten Vorbereitung im Bürgermeisterbüro. „Im Sels-Zimmer befindet sich Ihr Schreibtisch. Die Möhnen werden Sie mit einer rot-weißen Kette fesseln und aus dem Rathaus entführen (Rathausschlüssel nicht vergessen).“ Das gab’s zur Vorsicht dann doch noch schriftlich für den Bürgermeister.
Der löst sich um kurz vor 11 schweren Herzens von seinen Lieben (Mitarbeitern) im Nebenzimmer, atmet tief durch, setzt sich an den mit Pseudoakten vorbereiteten Schreibtisch und lässt in Erwartung dessen, was da kommen muss, erschöpft den Kopf sinken.
Ein Pfiff, und Rot-Weiß füllt das Zimmer. „Du bist der hellste Stern in dieser schönen Nacht“, schallt es Herbert Napp entgegen. Gardedamen mit Männerunterstützung — warum eigentlich? — umstellen den Schreibtisch. Amtsmüde? fragt eines der Weiber den müden Stadtchef, der dem hellen Stern noch nicht so nahekommt. „Erst 2015“, sagt der und rappelt sich auf.
Die Ketten kennt er ja schon. Er habe Vertrauen in die Regierungsfähigkeit der Frauen, sagt Napp, das kenne er von Zuhause. Das wiederum gefällt ihm so gut, dass er es das kurz darauf draußen auf der Bühne gleich nochmal erklärt.
Erst geht es runter ins Foyer. Da gibt’s Bier, die vorerst letzte Zigarette und keine Musik. Schließlich der nächste Pfiff, Abmarsch. Auf dem Markt wartet das Narrenvolk auf den Kettenmann, den Fassanstich und darauf, dass es endlich losgeht mit den tollen Tagen. „Herrlich“, sagt ein älterer Mann, als der Bürgermeister vorbeigeführt wird. Was genau er meint, muss offenbleiben.
Es folgt fürs Protokoll: Schlüs- selübergabe auf der Bühne, fröhliche Worte einer fröhlichen Novesia und der kecken Kinderprinzessin, dann ist endgültig Straßenkarneval.
Die beiden Vogelscheuchen Vera Viersbach (16) und Felicitas Pamatat werden am Donnerstag sicher nicht einen einzigen jecken Vogel abgeschreckt haben. Aber selbst wenn, wäre es ihnen egal: „Ob die Jungs unser Kostüm gut finden, ist uns gleich. Wir wollen heute bloß feiern und Spaß haben.“ „Feiern und Spaß haben“ ist auch das Motto der beiden feschen Dirndl-Mädchen Agathe und Michaela, die ihre drallen Kurven in enge Mieder geschnürt haben. Bei näherem Hinsehen entdeckt der aufmerksame Beobachter bei beiden Hübschen verdächtig viel Bartschatten am Kinn. „Ok, wir geben es zu. Wir heißen Azem Murati und Alberto Mondello, aber das spielt heute überhaupt keine Rolle“, ruft Agatha und stürzt sich wieder ins närrische Getümmel.