Polizei im Rhein-Kreis hatte 563 Einsätze wegen häuslicher Gewalt

Experten vermuten, dass die wahre Zahl der Fälle noch höher liegt.

Foto: dpa

Neuss. „Häusliche Gewalt ist keine Privatsache.“ Diesen Satz kann Janne Gronen, Geschäftsführerin der Beratungsstelle „Frauen helfen Frauen“, nicht oft genug wiederholen. Denn immer noch verstecken und verdrängen viele — meist weibliche — Opfer von Gewalttaten im häuslichen Umfeld die Übergriffe, die in 95 Prozent der Fälle durch männliche Täter verübt werden.

Insgesamt 563 Mal wurde die Polizei im Rhein-Kreis im vergangenen Jahr zu Einsätzen wegen häuslicher Gewalt gerufen; von Betroffenen, die verletzt waren, aber auch von Nachbarn, die Lärm oder einen Streit hörten und sich Sorgen machten. 740 Strafanzeigen wurden aus diesem Grund gestellt. Doch die tatsächliche Zahl der häuslichen Gewalttaten ist größer. „Die Dunkelziffer ist hoch“, sagt Ursula Habrich von der Fachstelle für Intervention bei häuslicher Gewalt in der Frauenberatungsstelle. Sie betreut Frauen, die in ihrem häuslichen Umfeld von ihrem Partner geschlagen, sexuell misshandelt oder gedemütigt wurden, berät sie zu ihren Rechten, etwa bei einer Trennung, und klärt sie über Hilfsmöglichkeiten auf.

Sind die Opfer einverstanden, übermittelt die Polizei ihre Daten an die Frauenberatungsstelle. 301 Faxe mit Namen und Kontaktdaten von Opfern häuslicher Gewalt gingen 2015 dort ein. „Meist melden wir uns innerhalb von 24 Stunden bei den Frauen; spätestens aber nach 48 Stunden“, sagt Sozialpädagogin Habrich. Viele Opfer seien jedoch mit der Übermittlung ihrer Daten nicht einverstanden. Betrachtet man die Gesamtzahl der Strafanzeigen, nimmt nicht einmal die Hälfte der Opfer das Hilfsangebot der Beratungsstelle an. Andere Frauen vertuschen die Tat ganz. Manche schweigen aus Scham, andere aus Angst vor weiteren Übergriffen und wegen finanzieller Abhängigkeiten.

Um mehr Fälle häuslicher Gewalt aufzudecken, schult die Frauenberatungsstelle innerhalb des vom Land NRW geförderten Projekts „Gewinn Gesundheit“ Ärzte und Klinikpersonal zu dem Thema. „Jede Frau, die Opfer häuslicher Gewalt wurde, geht irgendwann zum Arzt“, vermutet Gronen. „Wir wollen, dass Arztpraxen und Kliniken häusliche Gewalt mit im Blick haben, wenn Frauen mit Verletzungen zu ihnen kommen, und dass sie diese Frauen dann an uns weitervermitteln.“ Die Gynäkologin Sabine Pelz gehört dem Neusser Netzwerk von „Gewinn Gesundheit“ seit zwei Jahren an, um Opfer sexuellen Missbrauchs „schnell und zielgenau an die Beratungsstelle zu vermitteln“.

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen passiert aber auch in der Öffentlichkeit. Nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht zahlt das Land jetzt mehr Zuschüsse an die Beratungsstellen. „Wir müssen Schüler, Eltern, Lehrer und Erzieher zu sexualisierter Gewalt weiterbilden, um Übergriffen vorzubeugen“, sagt Habrich. Hierzu kann der Verein eine bereits vom Land bewilligte und zu 85 Prozent finanzierte Stelle einrichten. „Uns fehlen noch Zuschüsse, die die Restkosten von 10 000 Euro für die Stelle abdecken“, sagt Gronen.