Was ist öko und wie viel ist grün?
Das teurere Angebot von Öko-Strom will in Neuss bisher niemand nutzen. Eine Biogasanlage versorgt 700 Häuser.
Neuss. Die sieben ältesten Atomkraftwerke werden — ob vorübergehend oder auf Dauer — abgeschaltet, seit Freitag sind auch die beiden Blöcke von Biblis vom Netz, und allerorten wird nach der Katastrophe in Japan die Diskussion um Alternativen zur Atomenergie neu geführt. In Neuss sind die Stadtwerke Vollversorger — und können sich mit ihrer „grünen“ Bilanz sehen lassen.
Seit die SWN zum Januar 2010 die etwa 84 000 Stromkunden von RWE übernommen haben, bieten sie „zu 100 Prozent grünen Strom“. Er wird, so die Stadtwerke, C02-frei und ohne radioaktive Abfälle vor allem in Wasserkraftwerken in Norwegen erzeugt.
Dafür zahlen die Stadtwerke, das wird ihnen auch zertifiziert. Vertriebschef Dirk Hunke erläutert, dass das allerdings nicht bedeutet, dass tatsächlich aus dem Neusser Stromnetz rein „grüne“ Energie beim Verbraucher ankommt.
„Es geht um eine Rechengeschichte. Es gibt nun mal kein Öko-Stromnetz und daneben eins für Atomstrom oder eines für Strom aus Kohle.“ „Grün“ ist der Strom in Neuss, doch er ist kein Öko-Strom. Das wäre er nur, wenn aus einem dafür zu zahlenden Zuschlag neue regenerative Anlagen finanziert würden.
Das bieten die Stadtwerke unter dem etwas sperrigen Namen „swn-energreen50“ zwar auch an. 2 Cent pro Kilowattstunde mehr aber will in Neuss niemand zahlen. „Wir haben, zumindest bis vor dem Unglück in Japan, keinen einzigen Kunden dafür gewinnen können“, sagt Hunke.
Die Stadtwerke investieren und agieren auch in Neuss in regenerative Energie. Ein Mosaikstein ist die Solarenergie: Seit knapp einem Jahr ist eine Photovoltaikanlage auf dem Dach des Unternehmenssitzes an der Moselstraße installiert und soll Strom für den Bedarf von etwa 15 Einfamilienhäusern liefern. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, bekennt Hunke, aber auch ein Demonstrationsobjekt. Die Stadtwerke entwickeln zudem ein Modell, das über einen Bürgerfond bei den SWN Photovoltaikanlagen auf städtischen Dächern finanziert.
Auf erneuerbare Rohstoffe setzt die Biogasanlage im Neusser Süden: Hier erzeugen zwei Landwirte bereits seit Jahren überwiegend mit Mais aus der Umgebung Biogas für den Eigengebrauch. Nun wird das Biogas bis zur Erdgas-Qualität aufbereitet und von den Stadtwerken ins Netz eingespeist — zur Versorgung von bis 700 Einfamilienhäusern.
Eine zweite Anlage, bei der die SWN selbst als Investor auftreten wollen, sei im Rhein-Kreis Neuss geplant, kündigt Hunke an. Unumstritten sind derartige Anlagen nicht, und limitiert sind sie schlicht wegen des großen Bedarfs an Anbauflächen.
Die aktuelle Energiedebatte beobachtet Hunke mit starkem Interesse. „Bei einem beschleunigten Ausstieg aus der Atomkraft sehe ich als Substitution für den Übergang vor allem Gaskraftwerke“, sagt er. Es gebe zwar eine CO2-Belastung, die sei aber geringer als bei Kohlekraftwerken. Fest steht für den Vertriebsexperten, dass die Preise für Strom und Gas steigen werden. „Diese Entwicklung hat auf den großen Märkten schon begonnen.“