200 Jahre Engels Für den Schulfreund aus Herzkamp schrieb Engels ein Opernlibretto
Sprockhövel/Wuppertal. · Gustav Heuser war neben dem berühmten Sohn der Stadt Wuppertal auch Mitglied im Elberfelder Literaturkränzchen. Nach der Schule ebbte der Kontakt zwischen den beiden jedoch ab.
Mit coronabedingten Einschränkungen feiert die Stadt Wuppertal den 200. Geburtstag ihres berühmten Sohnes Friedrich Engels mit zahlreichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Tagungen, Vorträgen, Kunstprojekten und Stadtführungen. Seine Herkunft aus der Familie der bedeutenden Barmer Textilfabrikanten ist ebenso Thema wie seine philosophischen, politischen und revolutionären Aktivitäten, ohne die sein kongenialer Gefährte Karl Marx wohl ein weitgehend unbekannter und verarmter Intellektueller geblieben wäre.
Auch mit Menschen und Orten im benachbarten Sprockhöveler Raum waren Engels und seine Familie verbunden. Die Firma Caspar Engels Söhne, deren Teilhaber Friedrich Engels’ Vater bis 1837 war, bezog die Steinkohle für den Bedarf ihrer Manufaktur und Haushalte aus Haßlinghausen. Engels hatte Anteile an der Gewerkschaft „Stock und Scherenberg“, seinerzeit die größte Zeche im Amt, die gute Schmiedekohle lieferte. Gut vorstellbar, dass der wissbegierige Junior auch einmal diese Zeche besucht hat. Die Anlieferung der Kohle durch die bekannt raubeinigen Sprockhöveler Kohlentreiber hat er sicher oft beobachtet.
Friedrich Engels, der von Kindheit an mit Literatur und Musik vertraut war, zeigte schon in seiner Jugend eine große Sprachbegabung; er war ein Naturtalent als Zeichner und als Schriftsteller. Als wortgewaltiger Sozialkritiker schockierte er als 18-Jähriger die Gesellschaft seiner Vaterstadt mit der Veröffentlichung der „Briefe aus dem Wuppertal“, in denen er das Elend der unteren Klassen und die Heuchelei der frömmelnden Besitzbürger anprangerte.
In Elberfeld besuchte Engels das Gymnasium, das er ein Jahr vor dem Abitur auf Veranlassung seines Vaters verlassen musste. Zu seinen Schulfreunden zählte auch der drei Jahre ältere hochmusikalische Gustav Heuser, der 1817 in Herzkamp geboren worden war. Heuser entstammte einer weitverzweigten oberbergischen Familie, die zahlreiche Lehrer, Kaufleute und Gelehrte hervorgebracht hatte. Gustav Heusers Vater war der Lehrer Johann Christian Heuser, der zunächst in Obersprockhövel-Löhen, dann in Herzkamp die Schulmeisterstelle innehatte. Die Taufpaten des Sohnes Gustav stammten aus Gummersbach, Elberfeld und Altena. Die jämmerlich bezahlten Lehrerstellen in den kleinen Landgemeinden waren für gebildete und ambitionierte junge Pädagogen zumeist nur ein Sprungbrett für höher dotierte Stellen an städtische Schulen. So können wir vermuten, dass Gustav Heusers Vater mit dem gleichnamigen Lehrer identisch ist, der 1830 an der Elberfelder Realschule unterrichtete. Jedenfalls konnte der begabte Junge bis 1837 das Elberfelder Gymnasium besuchen, was für die Söhne „armer Schlucker“ damals nicht möglich gewesen ist.
Nach der Schulzeit trennten sich die Wege von Engels und Heuser
Diese Zeit, in der Wissenschaft rückblickend „Vormärz“ genannt, war von einer politischen und kulturellen Aufbruchstimmung geprägt, die auch die bürgerliche Elberfelder Jugend erfasst hatte. Mit großem Engagement vertraten die jungen Leute die Ideen von Freiheit, Demokratie und nationaler Größe, gegen das Joch des preußischen Obrigkeitsstaates. Auch die großen Dichter Ferdinand Freiligrath und Georg Weerth lebten in dieser explosiven Zeit im Wuppertal, inspirierten und prägten die literaturbegeisterten Elberfelder Bürgersöhne. Gymnasiasten, Studenten, Kaufleute gründeten hier schließlich ein Literaturkränzchen, dem die jungen Männer auch noch angehörten, wenn sie zum Militärdienst oder zum Studium zum Beispiel nach Berlin verzogenen waren. Man las eigene Gedichte und Prosa vor, auch aus Zeitungen und aktuellen Büchern und tauschte sich über Literatur, Kunst und Kultur aus. Neben Friedrich Engels und Gustav Heuser gehörte zum Beispiel auch der Portraitmaler und Pianist Richard Seel zum Elberfelder Literaturkränzchen. Er schuf die später berühmt gewordene Karikatur des deutschen Michel und war wie Engels einer der politischen Aktivisten in den 1840er Jahren im Rheinland.
Nach ihrer Schulzeit 1837 trennten sich die Wege von Gustav Heuser und Friedrich Engels. Während Engels seine ungeliebte kaufmännische Ausbildung in Bremen absolvierte, ließ sich der hochmusikalische Heuser am königlichen Musikinstitut Berlin zum Tonkünstler ausbilden. Er nahm Kompositionsunterricht und galt schon bald als großes Talent. Ein anderer „Kränzchen-Freund“, Karl de Haas, schrieb, Heuser sei „eine gute, ehrliche und musikalisch-geniale Haut, meisterhafter Pianist und ausgezeichneter Komponist“.
Als Engels 1841/42 in Berlin seinen Militärdienst ableistete, haben sich die Freunde wohl wieder getroffen. Der Tausendsassa Friedrich Engels, begeistert für historische Freiheitsbewegungen, bewandert in Musik und Dichtkunst, machte seinem Schulfreund ein besonderes Geschenk: Er schrieb 1840/41 für ihn das Opernlibretto „Cola di Rienzi“, die Geschichte eines römischen Politikers und Volkstribuns des 14. Jahrhunderts, der den römischen Stadtadel vertrieb und tragisch endete. Die Romanvorlage des Engländers Edward Bulwer-Lytton war 1835 erschienen. Gustav Heuser komponierte diese Oper jedoch nicht. Das sollte kein Geringerer als Richard Wagner – nach eigenem Libretto – tun: Seine Oper „Rienzi“ wurde 1842 uraufgeführt. Das Engels-Libretto „Cola di Rienzi“ wurde erst 1974 wiederaufgefunden, als der Engels-Forscher Michael Knieriem die Schrift im Nachlass des ehemaligen Kränzchen-Mitglieds Adolf Schults’ entdeckte.
Gustav Heuser starb im Alter
von 28 Jahren in Berlin
1843 vertonte Gustav Heuser die Gedichte eines Lebendigen von Georg Herwegh, die 1841 mit sensationellem Erfolg veröffentlicht worden waren. Bekannt wurde auch seine Geburtstags- und Weihnachtsmusik für Kinderinstrumente sowie die „Ouverture Triomphale“. Und Robert Schumann beschäftigte Heuser als Mitarbeiter in seiner Neue(n) Zeitschrift für Musik. Seinen Lebensunterhalt verdiente Heuser offenbar auch als Musiklehrer. Auf tragische Weise und viel zu früh starb Gustav Heuser unter nicht geklärten Umständen in Berlin. Ende Oktober 1846 wurde seine Leiche aus der Spree geborgen.
Zu diesem Zeitpunkt knüpfte sein alter Schulfreund Friedrich Engels ein europäisches Netzwerk zur Befreiung der Arbeiterklasse, er lebte zeitweilig in Brüssel und in Paris in der Nähe von Marx, mit dem er unermüdlich um Anhänger für die bevorstehende Revolution warb. Auch Engels war mit seinen 24 Jahren schon eine Berühmtheit: Seine 1845 erschienene Sozialreportage „Die Lage der Arbeitenden Klasse in England“, sorgte auch in bürgerlichen Kreisen für erhebliches Aufsehen und machte ihn fast über Nacht zu einem berühmten politischen Schriftsteller. Als 1850 in Elberfeld Gustav Heusers „Ouverture Triomphale“ aufgeführt wurde, befand sich der steckbrieflich gesuchte Engels im englischen Exil. Der Idealismus der Elberfelder Jugend, der jungen Literaten im „Kränzchen“, Deutschland zu einem demokratischen, einigen und liberalen Rechtsstaat zu machen, war unter den Stiefeln des preußischen Militärs zertreten worden.