„Zauberreich Lerchenhausen“ Karin Hockamp auf den Spuren von Sprockhövels bedeutendster Bürgerin

Sprockhövel · Buch der Autorin über das Gut Oberleveringhausen erschienen.

 Die ehemalige Sprockhöveler Stadtarchivarin Karin Hockamp stellte ihr Buch über das Gut Oberleveringhausen vor.

Die ehemalige Sprockhöveler Stadtarchivarin Karin Hockamp stellte ihr Buch über das Gut Oberleveringhausen vor.

Foto: Matthi Rosenkranz

„Zauberreich Lerchenhausen“, so hat Sprockhövels bedeutendste Bürgerin Franziska Mathilde Anneke (1817-1884) ihren idyllischen Geburtsort in Hiddinghausen genannt. Und genau da, an der heutigen Wittener Straße 131, wurde auch das von der ehemaligen Sprockhöveler Stadtarchivarin Karin Hockamp verfasste Buch „Zauberreich Lerchenhausen“ vorgestellt. Eingeladen hatte die Kunst- und Kulturinitiative Sprockhövel (Kuki) als Herausgeberin des Werks der Geschichte des Gutes Oberleveringhausen in Hiddinghausen, das mit der Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Sparkassenstiftung erstellt worden ist.

Hinter dem mächtigen, verschieferten Fachwerkhaus auf der Wiese waren Tische und Bänke aufgestellt für die zahlreichen Gäste, die die Lesung der Autorin Karin Hockamp und die musikalische Untermalung durch revolutionäre Lieder und Instrumentalbeiträge der Künstler Iris Panknin und Ulrich Klan erleben wollten. Schon im Vorfeld war der Verkauf des Buches auf großes Interesse gestoßen, und der Vorsitzende der „Kuki“, Steffen Peter, vermeldete, dass die erste Auflage des reich bebilderten 150 Seiten Bandes (Preis zehn Euro) nahezu ausverkauft ist, wobei der Haßlinghausener Heimat-Experte Erich Bühren allein schon mehr als 50 Exemplare verkauft hatte. „Die zweite Auflage ist schon in Planung“, versprach Peter.

Karin Hockamp ist in ihrem Buch auf Spurensuche gegangen und hat nach geradezu detektivischer Kleinarbeit und dem Studium unzähliger Quellen, wie die zahlreichen Fußnoten verraten, nicht nur Franziska Mathilde Anneke vorgestellt, sondern auch bedeutende Persönlichkeiten, die mit den Eigentümerfamilien Gieseler (den Großeltern Mathildes) und den späteren Besitzern Wassermann im Laufe von rund 200 Jahren verbunden waren. So den auch heute noch angesehenen Staatsmann Freiherr Karl vom und zum Stein, die prominente Autorin Henriette Davidis, Amalie Wassermann und den Gründer und langjährigen Leiter der Rostocker Universitätsklinik, Professor Hermann Brüning.

Großvater verlor einen großen Teil seines Vermögens

Karin Hockamp, Schöpferin vieler Veröffentlichungen über die Sprockhöveler Geschichte, schildert in geschliffener Sprache die Kindheit der Mathilde Anneke, die in Oberleveringhausen im Hause ihres Großvaters unbeschwerte erste Jahre verbracht hat, ehe der „Ernst des Lebens“ auch sie geradezu brutal ereilte. Infolge einer Fehlinvestition (Finanzierung einer Eisenbahn zur Förderung der Kohleproduktion) verlor der Großvater einen erheblichen Teil seines Vermögens. Ein „Zusammenbruch der Familienfinanzen“ war die Folge. Und Mathilde selbst ehelichte mit 19 Jahren 1836 den Mülheimer Weinhändler Alfred von Tabouillot, wohl auch um die Familie vor dem Ruin zu retten. Der Ehemann entpuppte sich als gewalttätiger Trinker, und Mathilde floh mit ihrer kleinen Tochter Ende 1837 aus dem Haus des rabiaten Gatten. Mathilde fristete nun ein Leben als alleinerziehende Mutter.

Und aus dem „Lerchenhausen“ wurde durch Kauf das Haus Wassermann. Der junge königliche Obersteiger Friedrich Wilhelm Wassermann war nach seiner Einheirat in die Familie Spennemann in der Lage, das Gut Oberleveringhausen zu kaufen. Vor dessen Haustür erlebten die Hausherrn nun den Beginn des industriellen Zeitalters mit seinen revolutionierenden Veränderungen und dem steigenden Güterverkehr, bei dem in Kutschen, Fuhrwerken oder auch zu Pferde und zu Fuß die unterschiedlichsten Waren transportiert wurden. Gegenüber dem Haus Wassermann entwickelte sich die Gaststätte Kickut (Ausguck) angesichts des regen Verkehrs zu einem lukrativen Lokal, und bald war die Gegend von Lärm aller Art erfüllt. Das Ende einer Idylle, was sich übrigens bis heute fortgesetzt hat, denn die am einstigen Lerchenhausen vorbeiführende Bundesstraße dürfte eine der verkehrsreichsten im Ennepe-Ruhr-Kreis sein.

Mathilde lebte nach ihrer Scheidung in Münster, wo sie journalistisch arbeitete und zum Kreis der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff gehörte. Sie lernte später ihren zweiten Ehemann, den Offizier Fritz Anneke, kennen. Beide zusammen wurden zum Mittelpunkt eines kommunistisch-ästhetischen Zirkels und lernten im Rahmen ihres Kontaktes zur Tagespolitik Karl Marx und Friedrich Engels kennen.

Da die Annekes linken Volkswehr-Offizieren wie Gustav Struve und Wilhelm Liebknecht nahestanden und Ehemann Fritz als ehemaliger preußischer Offizier wegen Verrats hingerichtet worden wäre, floh das Paar in die Schweiz und später von Le Havre aus in die USA, nach Milwaukee. Mathilde verdiente den Lebensunterhalt mit Vorträgen über deutsche Politik und Literatur, entwickelte sich gleichzeitig zu einer vehementen Kämpferin gegen die Sklaverei und für die Frauenrechte. Am 1. April 1852 erschien ihre erste mit Hohn und Spott bedachte deutschsprachige Frauen-Zeitung, in der sie sich gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter wandte. Sie wurde zu einer der bedeutendsten Frauenrechtlerinnen.

Ihr Geburtshaus ging nach dem Verkauf durch die Familie Wassermann in den Besitz der Deutschen Stiftung Denkmalschutz über, deren Vertreterin Anna Kogan am vergangenen Sonntag vor Ort war und sah, dass an manchen Stellen Renovierung oder Reparatur nicht mehr ausreichen würden. „Wir suchen einen Mieter, der uns ein Konzept über die zukünftige Nutzung, beispielsweise als Museum oder Bürohaus, vorlegt. Dann können wir mit den erforderlichen Arbeiten tätig werden“, lautete ihre Stellungnahme nach Abschluss der Matinee, die der Heimat- und Geschichtsverein Sprockhövel mit einem Verkaufs- und Imbissstand bereichert hatte.