Tanzhaus NRW Eine kleine große Frau

Düsseldorf · Mit „Gentle Unicorn“ begeisterte Chiara Bersani unlängst das Publikum. Nun stellt die preisgekrönte Choreografin im Tanzhaus NRW ihre aktuelle Produktion „Sottobosco“ vor.

Chiara Bersani in „­­Gentle Unicorn“.

Foto: Alice Brazzit/Tanzhaus

Leidenschaft, Temperament und der Mut, sich von Hindernissen nicht abschrecken zu lassen: Das zeichnet Chiara Bersani aus. Die kleinwüchsige Künstlerin, die die Glasknochenkrankheit hat, begeistert ihr Publikum mit bewegenden Inszenierungen. Darin greift sie Themen auf, die sie bei ihrem Publikum ins Bewusstsein rücken möchte. In ihrer aktuellen Produktion, die Bersani am 19. und 20. Januar im Tanzhaus NRW vorstellt, geht es um die Sichtbarkeit und die Kraft, die eine Gruppe dem Individuum geben kann. Die Choreografin hat sie mit „Sottobosco“ überschrieben, was übersetzt „Unterholz“ bedeutet. In den Wald geht es darin nur im übertragenen Sinn. „Sottobosco“ spielt mit der Vorstellung, dass sich Chiara und die sie unterstützenden Künstlerinnen und Künstler im Unterholz eines imaginären Waldes wiederfinden. Wie sind sie dahin gekommen? Was passiert jetzt mit ihnen, mit ihren Rollstühlen und Krücken? Wie wird jemand, der sie dort findet, wohl auf sie reagieren?

Bersani kennt solche Situationen aus eigenen Erfahrungen: Sie sitzt im Rollstuhl und ist täglich mit Hürden konfrontiert, die nicht sein müssten, würde die Gesellschaft über die eigenen Bedürfnisse öfter hinausschauen.

Für ihre Statements nutzt Bersani Mittel der darstellenden Künste. Dabei geht es nicht allein darum, das Publikum für die Gefühlslage von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren. Sie geht noch einen Schritt weiter: „Sottobosco“ soll ein Ort sein, der Menschen mit Behinderung einen Raum bietet, in dem sie eine Gemeinschaft bilden können. Denn zusammen haben sie die Energie, sich gleichberechtigt in der Gesellschaft zu positionieren.

So weit wie das Tanzhaus NRW, das die Inklusion ernst nimmt und immer wieder Produktionen von Künstlern mit Behinderung eine Bühne gibt, sind andere Häuser noch lange nicht. „In meiner Heimat Italien gibt es ganz klare Vorstellungen davon, wie Tanz verstanden wird und wie Tänzerinnen auszusehen haben“, stellt Bersani fest. Sie hat sich keinen leichten Weg ausgesucht, doch der Erfolg ihrer Auftritte belegt, dass ihre Entscheidung richtig ist.

„Ich war schon immer ein kreativer Mensch und habe unermüdlich Texte geschrieben“, erinnert sich Bersani. Freunde rieten ihr, sie solle ihre Ideen auf die Bühne bringen. Sie entschied, das Ganze auf eine solide Basis zu stellen und Theater zu studieren.

Am 19. und 20. Januar zeigt Chiara Bersani „Sottobosco“ im Tanzhaus NRW.

Foto: Alice Brazzit

In ihren Produktionen verbindet Bersani Elemente des experimentellen Theaters mit zeitgenössischem Tanz und darstellender Kunst. Dabei erforscht sie das Konzept des politischen Körpers und entwickelt Techniken für Künstler mit Behinderungen. War ihre Produktion „Gentle Unicorn“ noch eine Solo-Performance, holt sich Bersani für „Sottobosco“ Kolleginnen und Kollegen auf die Tanzhaus-Bühne.

Gerade ist ihre erste Live-Installation „Desertes“ im Kunsthaus Baselland zu Ende gegangen. Dafür hat sie mit Tapisserie, Performance und textilen Arbeiten Körper mit Behinderungen ins Zentrum gerückt, wie sie in der Mythologie zu finden sind, und sie in Bezug zur Natur gestellt. Auch dabei suchte sie den Schulterschluss mit Kunstschaffenden, die in einer ähnlichen Position sind wie sie selbst. „Das war eine echte Herausforderung für mich, weil ich zuvor noch nie Teil einer Ausstellung war“, sagt die Künstlerin. Sie arbeite üblicherweise auch nicht über einen so langen Zeitraum an einem Projekt: „Ich habe daraus viel mitgenommen, das ich in zukünftigen Arbeiten integrieren kann.“

Nach einer Auszeit über die Feiertage geht es jetzt weiter. „Wir sind für die Produktionen immer in Kontakt mit der jeweiligen Community vor Ort“, sagt sie. Das sei spannend, koste aber auch Kraft, denn „wir müssen uns erst kennenlernen. Läuft es dann, reisen wir schon wieder ab“, bedauert die Choreografin. Umso mehr freut sie sich darauf, wieder im Tanzhaus NRW zu gastieren.