Historischer Prozess als Theaterstück SS-Wächter auf der Anklagebank

Düsseldorf · Das Theaterkollektiv Pièrre Vers erinnert mit seinem neuen Stück an den Majdanek-Prozess, der in Düsseldorf verhandelt wurde.

Pablo Vuletic steht in seiner Rrolle stellvertretend für die Jugendlichen, die damals eingeladen wurden, dem Prozess beizuwohnen.

Foto: Ralf Puder

26. November 1975. Unter dem Aktenzeichen 8 Ks 1/75 beginnt im Land- und Amtsgericht an der Mühlenstraße einer der längsten und aufwendigsten Gerichtsprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auf der Anklagebank sitzen ehemalige SS-Wächter und Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Maj­danek. Über fünf Jahre werden ihre Taten dort verhandelt.

30. Juni 2021, Berger Kirche. 40 Jahre nach der Urteilsverkündung nimmt sich das Theaterkollektiv Pièrre Vers unter der Regie von Christof Seeger-Zurmühlen des historischen Stoffes im Bühnenstück „Im Process“ an. Aufgeführt wird es im Rahmen des Asphalt-Festivals an sechs Abenden. Da alle Vorstellungen bereits ausverkauft sind, wird es außerdem noch einmal während des Düsseldorf-Festivals zu sehen sein.

„Natürlich können wir nicht den ganzen Prozess auf die Bühne bringen, deshalb haben wir die Ereignisse verdichtet“, erklärt Seeger-Zurmühlen. Seinerzeit standen 15 Täter vor Gericht. Das Stück konzentriert sich auf die drei Hauptangeklagten.

Das Bühnenbild hinter Glasscheiben ist dem Verhandlungssaal von damals nachempfunden. Das Publikum wird den Dialogen und den Erzählungen eines 17-jährigen Schülers über Kopfhörer folgen können. Er steht stellvertretend für die Jugendlichen, die vom damaligen Richter Günter Bogen eingeladen wurden, dem Prozess beizuwohnen, um mehr über die NS-Verbrechen zu erfahren.

In den über fünf Jahren der Verhandlung, der rund 15 Jahre Vorbereitung vorausgegangen waren, veränderte sich die Wahrnehmung in der Gesellschaft, wie sich Jürgen Schuh erinnert. Er gehörte einer Gruppe junger Menschen an, die sich kritisch mit der Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzen. „Als ich die milden Urteile hörte, war ich so sauer, dass ich im Gerichtssaal aus Protest auf einen der Tische sprang“, resümiert der inzwischen 78-jährige. Zeit seines Lebens engagiert er sich für die Verfolgten des Naziregimes.

Wie weit ist die Aufarbeitung der deutschen Geschichte wirklich?

Wie Jürgen Schuh stellt sich auch das Theaterkollektiv Pièrre Vers in seinen Stücken immer wieder die Frage: Wie weit ist die Aufarbeitung der deutschen Geschichte wirklich? Im Bewusstsein der Düsseldorfer ist der dritte Majdanek-Prozess (zwei wurden zuvor in Polen verhandelt) mit seinen von vielen als skandalös mild empfundenen Urteilen und dem verächtlichen Umgang der Verteidiger mit traumatisierten Überlebenden kaum noch präsent.

Hätte sich da nicht als Aufführungsort das Andreas-Quartier als Schauplatz des Verfahrens angeboten? Immerhin ist dort noch der Verhandlungssaal erhalten, heute als Lounge genutzt. „Daran haben wir natürlich auch gedacht“, sagt Seeger-Zurmühlen. Aber: „Der Eigentümer ließ uns auf Anfrage wissen, dass er so einen schweren Stoff seinen Gästen und den Bewohnern nicht zumuten
könne.“

Dem Regisseur sind die Enttäuschung und das Unverständnis anzumerken. „Ich denke, wenn man ein so geschichtsträchtiges Gebäude wie das Land- und Amtsgericht übernimmt, hat man auch eine gewisse Verantwortung. Auf der Mühlenstraße wurde ja nicht nur der Maj­danek-Prozess verhandelt, sondern viele andere historisch bedeutende Verfahren.“ Der Theatermann und Künstler hätte sich diesbezüglich mehr Bewusstsein vom Investor gewünscht.