Zwei Plädoyers für den umstrittenen Kardinal Woelki „Was werft ihr ihm eigentlich vor?“

Köln · Spätestens seit die Missbrauchsfälle bekannt geworden sind, steckt die katholische Kirche in einer Krise. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist im Fokus der Debatte. Mechthild König, Beraterin der katholischen Kirche, und der promovierte Theologe Werner Kleine springen ihm zur Seite.

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, steht innerhalb der katholischen Kirche stark unter Druck. Aber es gibt auch welche, die das ein bisschen anders sehen.

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Das Erzbistum steht Kopf. Seit Monaten dreht sich alles um Kardinal Rainer Maria Woelki, um schwerwiegende Missbrauchsvorwürfe und um zwei Gutachten, die mehr oder weniger hürdenfrei veröffentlicht worden sind. Das ist die eine Ebene. Die andere Ebene des Zwists ist noch komplizierter, für die Zukunft des Erzbistums und für die gesamte katholische Kirche in Deutschland aber ebenso bedeutend.

Mechtild König ist Unternehmensberaterin. Nach eigenem Bekunden arbeitetet sie seit nun schon 20 Jahren überwiegend für die katholische Kirche. Vor drei Jahren hat Kardinal Woelki sie beauftragt und gebeten, die finanziellen Strukturen des Bistums unter die Lupe zu nehmen.

Werner Kleine ist promovierter Theologe. Er arbeitet als Pastoralreferent in Wuppertal. Kleine gilt als Reformer, aber nicht als Revolutionär. Sein Talent, aus Worten sinnvolle, verständliche und teils mitreißende Sätze zu bilden, hat sich derart herumgesprochen, dass er von Woelki beauftragt worden ist, die Kommunikation der Kirche zu modernisieren.

König und Kleine sind Protagonisten des sogenannten Pastoralen Zukunftsweges, mit dem der umstrittene Kardinal sein Erzbistum modernisieren will. Ob es dazu kommt, ob er dazu kommt, ist heute fraglicher denn je. Der Wind weht von vorn. Und er weht Woelki kalt ins Gesicht. Viele haben ihm nicht verziehen, dass er ein Gutachten über die Missbrauchsfälle im Erzbistum zunächst zurückgehalten und ein neues in Auftrag geben hat. Die sinngemäße Begründung, das erste Werk sei nicht tiefgründig genug gewesen, nahmen und nehmen Kritiker dem Kardinal nicht ab. Selbst das umfangreichere zweite Gutachten und die damit verbundene Suspendierung des Weihbischofes Domenikus Schwaderlapp hat die Kritik an Woelki nicht verstummen lassen. Im Gegenteil. Überwiegende Teile des Klerus am Rhein und viele Gläubige wollen diesen Kardinal nicht mehr an der Spitze des Bistums sehen. Der Streit eskalierte so sehr, dass Rom zwei Visitatoren geschickt hat, um Vorwürfe gegen den Kardinal und im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen zu untersuchen. Deren Urteil steht aus. Einige Dechanten und Priester scheinen ihres hingegen längst gefällt zu haben: Mit Woelki gibt es keine Zukunft für die katholische Kirche im Rheinland.

Malus: Viele Pastoren hätten sich nicht mitentwickelt

Mechthild König ist nicht nur Unternehmensberaterin, sie ist auch überzeugte Katholikin. „Und ich bin bei weitem nicht in allem einer Meinung mit Woelki“, sagt sie. „Aber was da jetzt geschieht, das ist Heuchelei.“ König hat die katholische Kirche kennengelernt, die jahrhundertalten Strukturen, die Regelwerke, die kaum noch kompatibel sind mit der Entwicklung, die moderne Gesellschaften genommen haben. Einen Malus sieht Mechthild König darin, dass sich viele Pastoren nicht mitentwickelt hätten. Das Selbstbild des Pastors ist demnach immer noch das eines Herrschers in einem wenn auch kleinen Reich. Königs Vorschlag beispielsweise, die Kindergärten aus der Trägerschaft der Kirchengemeinden zu nehmen, um Geld zu sparen, stieß nicht auf ungeteilte Gegenliebe. „Damit wäre ja auch ein Machtverlust verbunden, wenn die Pastoren plötzlich für weniger Angestellte verantwortlich sind“, sagt die Unternehmensberaterin. Dabei seien solche und andere Schritte unbedingt notwendig, um die finanzielle Zukunft der katholischen Kirche zu sichern.

Tatsächlich laufen den Kirchen die Steuerzahler davon. „Aber“, sagt Werner Kleine, „das ist kein Phänomen des Bistums Köln, das ist leider überall der Fall.“ Er stellt sich Leuten entgegen, die Woelki auch noch  für den Rückgang des Steueraufkommens in Haft nehmen wollen. Gleichwohl übt Kleine Kritik am Kölner Bischof. Als Kommunikationsprofi sieht der Pastoralreferent die Schwäche seines obersten Chefs im Bistum. „Das macht er überhaupt nicht gut“, sagt Kleine. „Das heißt aber nicht, dass er gar nicht kommuniziert.“ Das Gegenteil sei der Fall. Jeder, der behaupte, vom „Pastoralen Zukunftsweg“ nichts oder nicht genügend zu wissen, hält Kleine die zahllosen Konferenzen und Gespräche entgegen, die es gegeben habe. Und zuletzt sei sogar noch ein Imagefilm gedreht und in allen Gemeinden vorgeführt worden. „Wer jetzt noch sagt, er wisse nicht, worum es geht, der will es auch gar nicht wissen.“

Kleine ist überzeugt davon, dass die katholische Kirche einen Neuanfang braucht. Ob das mit  Rainer Maria Woelki geschehen kann, wird seiner Meinung nach letztlich in Rom entschieden werde müssen. Er hält es für möglich, dass der Vatikan einen Koadjutor entsendet, einen Beauftragten, der die Aufgaben des Kardinals vorübergehend übernimmt „und aufräumt“.

„Aber wer geht denn offensiv gegen seinen Chef vor?“

Dass einiges aufzuräumen ist, darin sind König und Kleine sich einig. „Woelki müsste dringend mehr Führungsstärke dokumentieren“, sagt Kleine. Mit anderen Worten: Der Kardinal soll all die Dechanten und Priester in den Senkel stellen, die ihm aus Sicht Kleines permanent in den Rücken fallen.  Denn dazu gebe es in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle keinen Grund. Vermutlich habe Woelki als Geheimsekretär zu Zeiten Kardinal Josef Meisners zwar Vieles gewusst oder gehört. „Aber wer geht denn offensiv gegen seinen Chef vor. Allzu viele machen das nicht.“ Es spreche für und nicht gegen Woelki, dass der jetzt nicht zurücktreten wolle. „Er will das aufklären. Er fühlt sich verantwortlich. Und er will Verantwortung übernehmen.“

Den vielleicht einfacheren Weg, wie ihn der Münchener Kardinal Reinhard Marx gehen wollte, aber nicht darf, schließt der Erzbischof von Köln ausdrücklich aus. „Es ist anscheinend nicht Woelkis Art, sich einen schlanken Fuß zu machen“, sagt Kleine. Anders als das Bistum München habe das Bistum Köln Missbrauchsgutachten veröffentlicht. „München hat den Termin jetzt zum fünften Mal verschoben.  Aber Marx weiß sich besser zu präsentieren.“ Und Mechthild König zitiert Pontius Pilatus: „Was werft ihr diesem Menschen eigentlich vor?“ fragt sie jene, die so vehement den Kopf des Kölner Kardinals fordern.

Die Kritiker werden nicht verstummen. Und die Frage ist schon längst nicht mehr, ob die katholische Kirche ihren immensen Missbrauchsskandal bewältig. Die Frage ist, ob es sie in ein paar Jahren überhaupt noch gibt. Schon jetzt ist abzusehen, dass am Ende dieser Dekade fast jede zweite Pfarrstelle nicht mehr zu besetzen sein wird. Das wirft die Frage nach der Ordination von Frauen auf. Die Bischöfe von heute, werden dann immer noch die Bischöfe sein, wenn sie nicht gestorben sind. „Sie haben die Aufgabe, diese Kirche in eine Zukunft ohne Klerus zu führen“, sagt Mechthild König. Und sie glaubt auch, dass der wenngleich äußerst konservative und Rom-treue Erzbischof von Köln nicht ein Teil des Problems ist, sondern ein Teil der Lösung sein kann. „Wer Woelki ans Kreuz nageln will, der ist gegen Reformen.“