Fiftyfifty sieht „systematische Ungerechtigkeit“ Eine Flasche Wein für 1,49 Euro geklaut – sechs Monate Haft?

Düsseldorf · Krzysztof Glinkowski lebte mehr als zehn Jahre auf der Straße, war alkoholabhängig. Jetzt hat er eine Wohnung, er arbeitet und ist abstinent. Doch er verstieß gegen Bewährungsauflagen. Nun droht ihm, alles zu verlieren.

Krzysztof Glinkowski mit Alena Hansen vom Verein Housing First.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Eine Flasche Rotwein für einen Supermarktpreis von 1,49 Euro könnte Krzysztof Glinkowski das Leben kosten, das er sich in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaut hat. Er hat eine eigene Wohnung, Arbeit, trinkt keinen Alkohol mehr. Für ihn sind das kaum zu unterschätzende Errungenschaften. Denn Glinkowski lebte mehr als ein Jahrzehnt auf der Straße, war schwerst alkoholabhängig. Jetzt soll er für ein halbes Jahr ins Gefängnis, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat.

Für Oliver Ongaro vom Straßenmagazin Fiftyfifty ist der Fall ein Beispiel für die „systematische Ungerechtigkeit im Strafsystem“ zulasten armer und obdachloser Menschen. Für das Amtsgericht Düsseldorf ist die Sache rechtlich klar: Glinkowski hätte straffrei bleiben müssen, blieb es aber nicht. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung der Bewährung lehnte das Gericht ab. Auch deshalb, weil seine Straftaten „einschlägig“ waren, er also schon vorher mit den gleichen Delikten aufgefallen war, wie eine Sprecherin des Amtsgerichts erklärt.

Krzysztof Glinkowski beging – alkoholkrank und obdachlos – einige Ladendiebstähle und sogenannte Beförderungserschleichungen, er fuhr also schwarz. 2019 wurde er wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung verurteilt. Am 13. September 2022, ein paar Wochen vor dem Ende seiner Bewährung, betrat er einen Supermarkt an der Ellerstraße, steckte sich die Flasche 1,49-Euro-Wein in den Rucksack, zahlte an der Kasse einen anderen Artikel, „nicht jedoch den im Rucksack verborgenen Wein und verließ den Kassenbereich“. So steht es im Urteil des Amtsgerichts vom Juli 2023, das ihn zu einer weiteren Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilte, wieder zur Bewährung ausgesetzt.

Darin wird ihm auch eine günstige Sozialprognose gestellt. Er lebe nun alkoholfrei, habe sich nach der Straftat aus freien Stücken zeitnah um eine stationäre Entgiftungstherapie gekümmert und Kontakt zu einer Schuldnerberatung sowie „weiteren sozialarbeiterischen Institutionen“ aufgenommen. Dadurch habe er nicht nur einen festen Wohnsitz gefunden, sondern auch eine Anstellung als Gebäudereiniger. Mittlerweile fährt er vormittags auch Essen für Schulen und Kitas aus. Doch jetzt soll Glinkowski ins Gefängnis. Denn auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Bewährung der ersten Strafe aufgrund des Weindiebstahls widerrufen.

„Krzysztof war in einem unterirdischen Zustand, als ich ihn kennengelernt habe“, sagt Oliver Ongaro. Jetzt lebe er aber seit zwei Jahren „sehr stabil“. Das bestätigt auch Alena Hansen vom Verein Housing First, durch deren Projekt Glinkowski eine Wohnung vermittelt werden konnte. „Und eine sechs Jahre alte Strafe soll jetzt dafür sorgen, dass er wieder auf Null zurückmuss?“, fragen Ongaro und Hansen. „Null“ würde bei Glinkowski mindestens den Verlust seiner Arbeit bedeuten, möglicherweise auch erneute Obdachlosigkeit. Und: Er bleibt suchtkrank. „Es ist viel Stress“, sagt er zu seiner Situation, „aber was soll ich machen? Ich muss arbeiten, meine Schulden bezahlen.“ Dass mit all den Sorgen und dem Stress ein Rückfall nicht ausgeschlossen ist, ist dem 46-Jährigen, Ongaro und Hansen bewusst.

Rechtlich scheinen die Möglichkeiten für einen Widerspruch ausgereizt, sagt Oliver Ongaro. Die Sprecherin des Amtsgerichts äußert sich auf Nachfrage nicht dazu. Als letzte Möglichkeit könnte ein Gnadengesuch eingereicht werden, damit Glinkowski seine erkämpfte Stabilität erhalten kann.

Ongaro geht es bei dem Fall auch um etwas Grundsätzliches: den schwierigeren Weg von armen Menschen, sich angemessenen Rechtsbeistand zu organisieren und die Frage, wie man mit Fällen wie dem seines Klienten umgeht. „Er hat eine gute Sozialprognose, zahlt seinen Lebensunterhalt und die Miete selbst, erhält keine staatlichen Leistungen“, sagt Ongaro. „Wollen wir als Gesellschaft wirklich, dass so jemand ins Gefängnis muss? Wegen kleinerer Delikte, die Jahre zurückliegen?“ Vom Amtsgericht hätte er sich mehr Empathie gewünscht. „Es wird einfach nach Aktenlage entschieden, ohne sich ein Bild von der aktuellen Lebenssituation zu machen“, sagt er. Ob die Lage von Glinkowski rechtlich künftig anders zu beurteilen wäre, ist eine politische Entscheidung, betont auch die Gerichtssprecherin.

(pze veke)