Wanderausstellung in NRW Das Kleid von Lore Gabelin: Neuer Weg der NS-Gedenkstätten

Düsseldorf · 29 Orte in NRW präsentieren sich in einer Wanderausstellung und einem neuen digitalen Format.

 Das Kleid ist Exponat in Krefeld, das Milchkännchen in Wuppertal. Der Staffelstab ist eine Erinnerung an ermordete Sportkameraden aus der Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf.

Das Kleid ist Exponat in Krefeld, das Milchkännchen in Wuppertal. Der Staffelstab ist eine Erinnerung an ermordete Sportkameraden aus der Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf.

Foto: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

Das blaue Kleid ist schön, die Farbe klar und fast unverwaschen, weiße Punkte, schmal tailliert. Erst Sekunden später bleibt der Blick hängen am gelben Stern auf Herzhöhe. Die Krefelderin Lore Gabelin wird ihn selbst aufgenäht haben müssen, gezwungen, unbarmherzig. Es ist die perfide Stigmatisierung dieser Krefelderin und die Millionen anderer Juden durch die Nazis. Die schwarze Aufschrift „Jude“ sollte die hebräische Schrift noch dazu ins Lächerliche ziehen.

Das originale Kleid schreit den Besucher der NS-Dokumentationsstätte Villa Merländer in Krefeld an. Bestialische Geschichte vergegenwärtigt, es bleibt keine Flucht vor der eigenen Überprüfung: Lore Gabelin hat den Holocaust überlebt und ist danach mit ihrer Familie zurückgekehrt nach Krefeld. Sie stiftete zahlreiche persönliche Erinnerungsstücke für die Dauerausstellung „Krefeld und der Nationalsozialismus“. Und jetzt ist dieses Kleid in dem Buch „Mehr als man kennt – näher als man denkt“ abgedruckt. Als eine von 29 „Objektgeschichten aus Gedenkstätten in NRW“. 29 gibt es davon, niemand habe es in NRW weiter als 70 Kilometer zu einer Gedenkstätte, sagte der Geschichtsdidaktiker Professor Alfons Kenkmann gestern. Darunter auch der Erinnerungsort Alter Schlachthof und die Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf oder die Begegnungsstätte Alte Synagoge in Wuppertal. Sie liegt im Zentrum von Elberfeld, genau dort, wo bis zur so genannten „Reichskristallnacht“ im November 1938 die Synagoge stand.

Die Idee: Inmitten der Corona-Pandemie Geschichte auf neue Art erlebbar zu machen, auch zu erinnern an diese Gedenkstätten, die derzeit zu kämpfen haben unter den fehlenden Besucheranstürmen etwa durch Schulklassen – und sich neue Formate oder Zugangsgruppen ausdenken und ausdenken müssen.

Die Macher kreierten aus diesen 29 Exponaten aus 29 Stätten in NRW eine klassische Wanderausstellung, die ab Oktober bis Mai 2021 durch alle Regierunsgbezirke gehen soll, es gibt nun das Buch dazu über die Landeszentrale für politische Bildung und eine digitale Variante als Ergebnis der Pandemie und den damit einher gehenden Überlegungen für digitale Formate. „Die Orte sind derzeit nicht authentisch erlebbar. Deswegen schaffen wir neue Gelegenheiten“, Alfons Kenkmann für den Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW am Dienstag in Düsseldorf.

Das Land hat
zuletzt finanziell unterstützt

Und so begegnen dem Betrachter im wahrsten Sinne des Wortes denkwürdige Exponate: Ein Steintrog, in dem jüdische Kinder vor der Deportation die Nacht verbrachten, damit sie nicht auf dem nasskalten Boden der Viehhalle liegen mussten (Alter Schlachthof), eine Taschenuhr eines sowjetischen Häftlings, der in Dortmund zu Tode gekommen ist, und eine Anstecknadel der NS-Ordensburg Vogelsang, die noch Jahrzehnte nach Kriegsende Alt-Nazis als aktives Erkennungszeichen diente. „Auf diese Weise werden wir zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Fragen nach Handlungsspielräumen und individueller Verantwortung angeregt“, sagte der parlamentarische Staatssekretär des Kulturministeriums NRW, Klaus Kaiser, bei der Vorstellung des Projektes in Düsseldorf. Das Land hat die Erinnerungsorte zuletzt finanziell unterstützt. Noch 2019 hätten 420 000 Besucher die Orte aufgesucht, „das war von einem auf den anderen Moment vorbei“, sagte Kenkmann.

Auf der Website der Ausstellung informieren die Gedenkstätten über das ausgewählte Exponat jeweils mit Text und Video. So berichtet die Gedenkstätte NS-Dokumentation Vogelsang, wo sich einst das Ausbildungszentrum für die NSDAP-Verwaltungselite befand, zu der Anstecknadel: „Wer sie sich Ende der 1970er Jahre ans Revers steckte, trug damit seine Vergangenheit als ehemaliger „Ordensjunker“ der NSDAP öffentlich zur Schau und zählte sich mit Stolz zum Kreis der „alten Kameraden“ aus den NS-Ordensburgen.“ Viele der „Ordensjunker“ hätten sich als Täter an den deutschen Verbrechen beteiligt. Die neue Vergegenwärtigung solle auch helfen, sagte Kenkmann, den absehbaren Verlust von Geschichte nach der Pandemie abzuschwächen. Was allemal lohnt. Mindestens 29 Beweise liegen vor uns.