Hinweise auf neue Fälle? Weitere Kinderpornos in Lügde entdeckt
Düsseldorf · Im Fall des massenhaften Kindesmissbrauchs von Lügde lief vieles bei den Ermittlungen schief. Inzwischen ist von Differenzen zwischen Justiz und Innenministerium die Rede. Der Minister will davon nichts wissen.
Nach dem Fund von weiterem kinderpornografischem Material beim Abriss des mutmaßlichen Missbrauchtatorts in Lügde treten unterschiedliche Auffassungen zwischen Innenministerium und der Staatsanwaltschaft zutage. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) wies am Dienstag zwar Berichte über „Differenzen“ zurück. „Aber es gibt unterschiedliche Sichtweisen, weil wir unterschiedliche Aufgaben haben“, sagte er in einer Sondersitzung des Landtags-Innenausschusses. Für die Justiz sei das nachträgliche Material nicht mehr relevant, weil sie die Ermittlungen abgeschlossen habe. Für die Polizei könnten sich aber Hinweise auf neue Fälle und Opfer ergeben. Reul hatte immer wieder Mängel bei den Ermittlungen zu dem massenhaften Kindesmissbrauch kritisiert.
Beim Abbruch der von der Staatsanwaltschaft freigegebenen Behausung des Hauptverdächtigen hatte der Abrissunternehmer Mitte April mehrere Datenträger gefunden. Darunter war laut Reul auch eine CD-ROM mit kinderpornografischen Filmen. Weitere elf Video-Kassetten, die oben auf einem Müllcontainer lagen, hatten demnach keinen relevanten Inhalt. Teilweise konnten die CDs nach Angaben Reuls nicht ausgelesen werden. Die Abrissarbeiten waren nicht von der Polizei beaufsichtigt worden. Das hatte zu weiterer Kritik an den von Pannen belasteten Ermittlungen geführt.
Die Staatsanwaltschaft halte die Datenträger auch deswegen für nicht mehr relevant, weil sie möglicherweise erst nachträglich auf den Müllcontainer geworfen worden seien, sagte Reul. Für die Polizei sei der Fund trotzdem wichtig, da er Hinweise auf andere Fälle und Opfer geben könnte.
Die Ermittler hatten zuvor bei mehreren Durchsuchungen der Parzelle schon riesige Mengen an belastendem Material sichergestellt. Der Entwurf für die Anklageschrift ist der Generalstaatsanwältin in Hamm zufolge „in Bearbeitung“, sagte ein Mitarbeiter des Justizministeriums im Ausschuss.
Auf dem Campingplatz soll der 56-jährige Dauercamper mit einem Komplizen (33) über Jahre hinweg Kinder missbraucht und dabei gefilmt haben. Die beiden Verdächtigen sowie ein 48-Jähriger aus dem niedersächsischen Stade sitzen in Untersuchungshaft. Ermittelt wurden bislang 40 Opfer. Der Prozess könnte im Juni beginnen.
Die Ermittlungskommission „Eichwald“ - benannt nach dem Namen des Campingplatzes - wurde inzwischen laut Reul auf 79 Mitarbeiter aufgestockt. Ob im Fall der nachträglich gefundenen CD-ROM mit kinderpornografischem Material ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird, ist noch unklar.
Dass bei der geräumten Parzelle auf dem Campingplatz nun ein Polizist stehe, erklärte Reul damit, dass dieser „Ansprechpartner“ sein solle. Der Minister hatte weitere Befragungen der Campingplatz-Bewohner angekündigt. Das geschehe „im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft“.
Der Fall hat sich wegen massiver Versäumnisse bei den Ermittlern und dem Verschwinden von Beweismaterial zu einem Polizeiskandal entwickelt. Zudem sollen Jugendämter frühe Hinweise auf den sexuellen Missbrauch falsch eingeschätzt haben.
Die SPD-Opposition forderte erneut den Rücktritt Reuls. Der Minister habe Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verspielt, sagte der innenpolitische Sprecher Hartmut Ganzke. Auch ein Untersuchungsausschuss zum Fall Lügde sei „eher näher als in weitere Ferne gerückt“. Reul ließ das kalt: „Sie können mich fünfmal zum Rücktritt auffordern. Das ist mir auch egal, wenn wir nur in der Sache vorankommen.“
Rund drei Monate nach Bekanntwerden des massenhaften Missbrauchs will die NRW-Opferschutzbeauftragte Elisabeth Auchter-Mainz am Donnerstag und Freitag in Lügde eine offene Sprechstunde abhalten. Auch Vertreter des polizeilichen Opferschutzes sowie des Weißen Rings seien vor Ort, sagte sie. Jedes bislang bekannte Opfer sei angeschrieben worden. Sie nannte „45 Betroffene“, darunter auch Geschwisterkinder. Teilweise handele es sich bei den Opfern um inzwischen erwachsene Frauen. Mit Blick auf den bevorstehenden Prozess vor dem Landgericht Detmold sei für mehrere Zeugen bereits eine psychosoziale Prozessbegleitung bestimmt worden.